Werke und Nachlaß
Kritische Gesamtausgabe Band 19: Über den Begriff der Geschichte

Die Aufzeichnungen Walter Benjamins "Über den Begriff der Geschichte", an denen er bis zum Frühjahr 1940 schrieb, sind zugleich nüchterne Bilanz eines leidenschaftlichen Intellektuellen und steile Konstruktion eines kühlen Theoretikers. Der Intellektuelle legt Rechenschaft darüber ab, wie es um das altehrwürdige Unternehmen, die Welt in eine menschenwürdigere zu transformieren, bestellt ist - zumal in einer Zeit, in der die Kräfte, denen man dies bislang zugetraut hatte, zerfallen und die Hoffnungen zerstört sind. Der Theoretiker nimmt dies zum Anlaß, die verheerenden Folgen der bisherigen Geschichtsphilosophie aufzudecken und eine Alternative zu entwerfen, die die Kritik am linearen Fortschritt nicht mehr allein dem Irrationalismus überläßt.

ISBN 978-3-518-58549-8 3. Auflage 19.07.2010 42,00 € Portofrei Bestellen (Buch)

Diese Kritik hat bis heute nichts von ihrer Aktualität eingebüßt, ebensowenig wie die daraus abgeleitete Erkenntnis, daß die Katastrophe nicht der Ausnahmezustand ist, sondern die Regel.In der neuen Edition werden alle Fassungen der »geschichtsphilosophischen Thesen« integral abgedruckt - darunter eine nicht abgeschlossene, von Benjamin selbst verfaßte französische Version. Zusammen mit sämtlichen Vorstufen und weiteren Texten bieten sie eine umfassende Dokumentation des Entstehungsprozesses. Darüber hinaus werden die französische Fassung und das sogenannte Hannah-Arendt-Manuskript vollständig als vierfarbige Faksimiles gegeben. Die Edition zeigt, mit welcher Intensität Benjamin bis zum Schluß an seinem philosophischen »Vermächtnis« gearbeitet hat. Und sie eröffnet eine neue Deutungsperspektive: Über den Begriff der Geschichte, so wird hier erstmals sichtbar, ist kein abgeschlossenes Werk, sondern ein klassisches work in progress.

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Inhaltsverzeichnis der 2. Auflage

Leseprobe des Verlags

Über den Begriff der Geschichte: Bekanntlich soll es einen Automaten gegeben haben, der so konstruiert gewesen sei, daß er jeden Zug eines Schachspielers mit einem Gegenzuge erwidert habe, der ihm den Gewinn der Partie sicherte. Eine Puppe in türkischer Tracht, eine Wasserpfeife im Munde, saß vor dem Brett, das auf einem geräumigen Tisch aufruhte. Durch ein System von Spiegeln wurde die Illusion erweckt, dieser Tisch sei von allen Seiten durchsichtig. In Wahrheit saß ein buckliger Zwerg darin, der ein Meister im Schachspiel war und die Hand der Puppe an Schnüren lenkte. Zu dieser Apparatur kann man sich ein Gegenstück in der Philosophie vorstellen. Gewinnen soll immer die Puppe, die man »historischen Materialismus« nennt. Sie kann es ohne weiteres mit jedem aufnehmen, wenn sie die Theologie in ihren Dienst nimmt, die heute bekanntlich klein und häßlich ist und sich ohnehin nicht darf blicken lassen. [PDF] Von Walter Benjamin (Februar bis April/Mai 1940) Kunsthochschule Halle 2017 / Dasselbe Dokument bei Suhrkamp

Der Autor:

Walter Benjamin wurde am 15. Juli 1892 als erstes von drei Kindern in Berlin geboren und nahm sich am 26. September 1940 in Portbou/Spanien das Leben. Benjamins Familie gehörte dem assimilierten Judentum an. Nach dem Abitur 1912 studierte er Philosophie, deutsche Literatur und Psychologie in Freiburg im Breisgau, München und Berlin. 1915 lernte er den fünf Jahre jüngeren Mathematikstudenten Gershom Scholem kennen, mit dem er zeit seines Lebens befreundet blieb. 1917 heiratete Benjamin Dora Kellner und wurde Vater eines Sohnes, Stefan Rafael (1918 –1972). Die Ehe hielt 13 Jahre. Noch im Jahr der Eheschließung wechselte Benjamin nach Bern, wo er zwei Jahre später mit der Arbeit Der Begriff der Kunstkritik in der deutschen Romantik bei Richard Herbertz promovierte. 1923/24 lernte er in Frankfurt am Main Theodor W. Adorno und Siegfried Kracauer kennen. Der Versuch, sich mit der Arbeit Ursprung des deutschen Trauerspiels an der Frankfurter Universität zu habilitieren, scheiterte. Benjamin wurde nahegelegt, sein Gesuch zurückzuziehen, was er 1925 auch tat. Sein Interesse für den Kommunismus führte Benjamin für mehrere Monate nach Moskau. Zu Beginn der 1930er Jahre verfolgte Benjamin gemeinsam mit Bertolt Brecht publizistische Pläne und arbeitete für den Rundfunk. Die Machtübernahme der Nationalsozialisten zwang Benjamin, im September 1933 ins Exil zu gehen. Im französischen Nevers wurde Benjamin 1939 für drei Monate mit anderen deutschen Flüchtlingen in einem Sammellager interniert. Im September 1940 unternahm er den Versuch, über die Grenze nach Spanien zu gelangen. Um seiner bevorstehenden Auslieferung an Deutschland zu entgehen, nahm er sich das Leben.

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Erstellt: 19.07.2022 - 07:38  |  Geändert: 27.01.2025 - 07:44