Der Ohrfeige nach
Wiglaf Droste ist wieder und weiter unterwegs und begegnet den Zumutungen der Welt so kundig wie neugierig und auf elegante, charmante und sprachschöpferische Weise. Er weiß, wie man sich verhält, wenn eine Frau aus besserem Hause völlig betrunken unbedingt mit einem ihr ganz fremden Mann tanzen will und zum Beweise dessen auf den Auserwählten einprügelt. Droste trifft nachts am Spätkauf eine Frau, die ihre letzten zwei Euro für Bier ausgegeben hat und die Welt nicht mehr versteht: »Dabei bin ich doch Suhrkamp-Autorin.« Lustige Geschichten und sezierende Sprachglossen über Designervokabeln wie »greige«, »mauve« und »taupe«, über Phrasen von »Baustellen« und »Hausnummern« und Abwimmelungssätze wie »Wir kommen auf Sie zu« oder Talkshowjargon à la »dankbar und demütig« wechseln einander ab.
Was passiert, wenn aus Leipzig »Hypezig« wird, das »n« aus der Sprache verschwindet und die Bahn plötzlich die »Bonusfahrtzeit« entdeckt bis zum Ende aller »gebrauchten Tage«? Wiglaf Droste weiß das, und er macht kein Geheimnis daraus.
„Der große Wiglaf Droste starb am 15. Mai 2019. - Am 20. September 2019 fand zu seinen Ehren eine Gala in der Berliner Volksbühne statt. Aus diesem Anlaß produzierte ich einen Film (23 Min.) über ihn, der an diesem Abend uraufgeführt wurde. "Wer allzu offen ist", sagte er einmal, "der kann nicht mehr ganz dicht sein". Offen war er nicht mehr für Twitter und Facebook, das Anonyme und die überhitzte Hypermoral einer neuen Zeit. "Die Entschlossenheit zum Nichtverzweifeln war immer das Rückgrat meines Lebens", diktierte er dem "Tagesspiegel". Allein aber könne man "die Welt nicht retten, mit Glück sich selbst und vielleicht einige andere, und man kann ermutigen. Das kostet volle Kraft voraus, und die Übermacht der Brutalität, der Gedächtnis- und Gewissenlosigkeit ist niederschmetternd"... Mit Rechten reden? Nein, man müsse nicht "an jeder Mülltonne schnuppern", und: "Das Schicksal von Nazis ist mir komplett gleichgültig; ob sie hungern, frieren, bettnässen, schlecht träumen usw. geht mich nichts an. Was mich an ihnen interessiert, ist nur eins: dass man sie hindert, das zu tun, was sie eben tun, wenn man sie nicht hindert: die bedrohen und nach Möglichkeit umbringen, die nicht in ihre Zigarettenschachtelwelt passen". Auszug aus dem Nachruf von DER SPIEGEL, Mai 2019" Von Christoph Rüter → Christoph Rüter Youtube 09.12.2021
[Das Video ist bei Youtube inzwischen auf "privat" gestellt.]
Nachruf auf Wiglaf Droste → ttt - titel thesen temperamente Youtube 24.05.2019
Erstellt: 26.05.2019 - 07:09 | Geändert: 23.08.2024 - 09:01