Wir und Amazon

Wir und Amazon - Eine Stellungnahme zur aktuellen Debatte

Nach dem ARD-Bericht über den Umgang mit Leih- und Saisonarbeitern bei amazon.de (Ausgeliefert! Leiharbeiter bei Amazon) ist endlich eine breitere Öffentlichkeit dafür sensibilisiert worde, dass die wunderbare, heile Online-Einkaufswelt vielleicht doch nicht so heil ist und dass der virtuelle Einkauf doch sehr reale Grundlagen und Folgen hat.

Für uns im stationären Buchhandel hat und hatte amazon natürlich schon immer einen wesentlich größeren Einfluss, als das für die Kunden sichtbar ist. Seit dem Auftauchen auf dem deutschen Markt 1998 setzt Amazon konsequent auf Kundengewinnung, Umsatz (nicht unbedingt Gewinn!!!) und Marktmacht. Über die Jahre hat der Konzern dadurch das Verhalten der deutschen Konsumenten zum Teil grundlegend verändert!

Aus Sicht des Kunden ist Amazon eine tolle Sache. Er bekommt alles, was er braucht zum meist günstigsten Preis innerhalb kürzester Zeit und völlig ohne Risiko, schließlich handhabt Amazon Rücksendungen und Reklamationen sehr großzügig.

All diese Serviceleistungen können aber nur aufrecht erhalten werden, weil die Bedingungen dahinter alles andere als toll sind! Das betrifft vor allem die Situation der Beschäftigten, den Umgang mit Lieferanten und auch die Effekte, die das Verhalten von Amazon im gesamtgesellschaftlichen Kontext bewirken. Aber auch Konsequenzen für die Kunden, die nicht auf den ersten Blick sichtbar werden.

Für die Saisonkräfte, die Amazon über dubiose Zeitarbeitsfirmen aus ganz Europa z.B. zu Weihnachten zusammenkarren lässt, hat der Werbeslogan "Amazon - and you're done!" leider keine positiven Aspekte. Sie wurden, wie der ARD-Bericht gezeigt hat, unwürdig und menschenverachtend behandelt. Man hat ihnen Verträge untergejubelt, die weit von den versprochenen Bedingungen entfernt waren, sie wurden von zweifelhaften "Sicherheitskräften" bedrängt und drangsaliert, die Unterkünfte, die von Amazon organisiert waren, spotteten teilweise jeder Beschreibung. Das alles war und ist nichts Neues, Gewerkschaften und Medien haben in den letzten Jahren schon oft auf diese und ähnliche Misstände aufmerksam gemacht, leider erfolglos.

Ein weiterer Aspekt, der besonders auch für uns und alle anderen im stationären Handel, aber auch gesamtgesellschaftlich ärgerlich ist, ist die Tatsache, dass Amazon durch seinen Firmensitz in Luxemburg und den damit geltenden luxemburger Steuersätzen nur einen Bruchteil dessen an Unternehmenssteuern und Mehrwertsteuer vom Verkaufspreis abführen muss, was eine Firma mit Sitz in Deutschland oder anderen EU-Staaten bezahlen muss. Aktuell sind das z.B. bei der Mehrwertsteuer für eBooks 3% im Vergleich zu 19%, die wir vom Verkaufspreis an den Fiskus weiterreichen. Aber auch andere Schlupflöcher, die das europäische Steuerrecht bietet, werden intensiv genutzt, wie die Beispiele in unserer Linkliste zeigen. Dadurch entsteht zum einen der gesamten Volkswirtschaft ein nicht unerheblicher Schaden, zum anderen stellt es für uns auch eine ungeheuere Wettbewerbsverzerrung dar.

Auch die Lieferanten werden von Amazon massiv unter Druck gesetzt. Die Verlage müssen ihr Angebot selbst pflegen, ein auch nur geringfügig abweichendes Detail bei Lieferungen wird mit Strafen von 500€ "geahndet" und die Ware wird von Amazon teilweise sogar weggeworfen, wenn sie im Logistikzentrum am falschen Gate angeliefert wurde. Mit allen Nebenkosten erreicht Amazon bei den Verlagen bis zu 65%, wie z.B. der Verleger André Thiele in einem offenen Brief an Amazon eindrucksvoll schildert. Nach deutschem Buchpreisbindungsgesetz sind übrigens maximal 50% Rabatt zulässig.

Ein Aspekt, der in der Diskussion bisher leider noch zu wenig Beachtung findet, ist die Datenschutzfrage. Abgesehen von all den Daten, die Amazon durch unsere Surf- und Einkaufsgewohnheiten über uns gesammelt hat und fast beliebig zur Erstellung von extrem umfangreichen Profilen benutzen kann, die auch Bereiche wie Religion, politische, sexuelle Orientierung etc. umfassen können, unterliegen durch die Tatsache, dass amazon.de seine EDV-Dienste über den Mutterkonzern bezieht, alle diese Daten z.B. dem amerikanischen Patriot Act, der den Zugriff von staatlicher Seite erlaubt, ohne dass sie Betroffenen davon erfahren dürfen. So kann es schon mal passieren, dass nach einer ausgiebigen Literaturrecherche zum Thema "Islamischer Fundamentalismus" bei Amazon die Einreise in die USA verweigert wird.

Das alles reicht eigentlich schon, um ins Zweifeln zu kommen. Aber viel schwerer wiegen eigentlich die Folgen, die die Marktmacht von Amazon, begründet auf das geschilderte Verhalten, bewirken kann. Die Schallplattenläden und die Spielwarengeschäfte sind aus den Innenstädten schon verschwunden, Geschäfte für Unterhaltungselektronik  kämpfen momentan ums Überleben, genau wie wir Buchhändler. Irgendwann werden auch die Bekleidungsgeschäfte und die letzten Bäckereien und Lebensmittelhändler aufgeben müssen, wenn die Einkaufszonen so unattraktiv geworden sind, dass die Menschen wegbleiben.
Irgendwann werden zuerst die kleinen Verlage verschwinden, weil sie nicht mehr wirtschaftlich arbeiten können, und dann folgen nach und nach die anderen Verlage, für die es nur noch einige wenige, übermächtige "Partner" im Handel geben wird, die die Bedingungen diktieren. Irgendwann werden Amazon & Co. bestimmen, was überhaupt noch veröffentlicht wird...

So weit darf es nicht kommen!

 

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