Ich an meiner Seite. Von Birgit Birnbacher. Rezension von Britta Kiersch

REZENSION 
Ich an meiner Seite. Von Birgit Birnbacher   Zsolnay Verlag   ISBN 978-3-552-05988-7

Die österreichische Autorin ist Soziologin und schreibt aus der professionellen Perspektive absolut überzeugend über den 22-jährigen stillen und intelligenten Arthur, der nach 2 Jahren aus dem Gefängnis kommt. Schnell stellt er fest, dass die Rückkehr in die Gesellschaft fast unmöglich ist, nachdem er ihr wegen Internetbetrügereien zwangsweise den Rücken zukehren musste. Zuerst lebt er in einer Haftentlassenen-WG und wird Teil einer wissenschaftlichen Resozialisierungsstudie, in deren Zusammenhang er eine Therapie macht. Arthur soll versuchen eine Idealbesetzung seiner selbst zu entwerfen bzw. eine Art inneres Leitbild erstellen. Seine Gedanken im Zusammenhang mit den gestellten Aufgaben soll er auf Band sprechen. Es sind diese Aufnahmen, die ihn uns näherbringen, in denen wir ihn – wie sein schräger Therapeut - auf eine immer leicht distanzierte Art kennenlernen.

Arthurs Geschichte beginnt in einer Hochhaussiedlung einer beliebigen österreichischen Kleinstadt, wo er ohne Vater aufwächs, bis die Mutter mit einem neuen Partner in Andalusien die Leitung eines Hospizes für Wohlhabende übernimmt und es finanziell bergauf geht. Allerdings schleicht sich jetzt eine Art Wohlstandverwahrlosung in Arthurs Leben ein. Er lernt Princeton und Milla kennen, alle drei sind irgendwie ineinander verliebt. Dann passiert ein traumatisches Unglück, Arthur geht allein nach Wien, wo er ein neues, eigenes Leben beginnen möchte, das aber mit der Haft eine abrupte Wende erfährt.

Mich hat an dem Buch überzeugt, wie es deutlich macht, dass es nicht immer für jedes Verhalten und jede Konsequenz eine logische, vernünftige Erklärung gibt. Nicht jedes Fehlverhalten resultiert aus Fehlern in der Erziehung. Manchmal tut man Dinge, einfach weil man es kann und mit 19 oder 20 ist so mancher noch nicht reif genug, um sich der Folgen in jedem Moment bewusst zu sein. Birgit Birnbachers Held hat eine lebendige Vorlage und das macht ihren Arthur, der in der Therapie erkennt, dass er den Leuten keine Idealversion von sich vorspielen möchte, weil er sich selbst so wie er ist, mag und gut findet, noch überzeugender. Ein echter Therapieerfolg, würde ich sagen.

Ich an meiner Seite. Von Birgit Birnbacher

 

Erstellt: 02.12.2020 - 05:57  |  Geändert: 19.02.2021 - 15:27