Cloris. Von Rye Curtis. Rezension von Britta Kiersch

Cloris. Von Rye Curtis   C.H.Beck   ISBN 978-3-406-75535-4

Mit einer zeitlichen Distanz von 20 Jahren erzählt die Ich-Erzählerin Cloris von jenem unvergesslichen Spätsommer 1986 als sie (damals schon über 70) mit ihrem Mann auf dem Weg in einen Kurzurlaub mit einer Cessna über ein großes Waldgebiet, die Bitteroot Mountains, flog und abstürzte. Der Pilot und Mr. Waldrip überleben den Absturz nicht, sie selbst wird nur leicht verletzt. Cloris kann noch einen Notruf in den Äther schicken, bevor das Funkgerät den Geist aufgibt. Die zweite Hauptfigur ist die geschiedene Forest Rangerin Debra Lewis, die seit 11 Jahren in dieser Gegend in einer Hütte im Wald lebt und von dort aus ihr Revier überwacht. Ihr Kollege Claude und dessen Freund Pete sind die einzigen Menschen weit und breit. Debras Mann hatte außer ihr noch 3 Ehefrauen in anderen US-Bundesstaaten, was ihr Selbstwertgefühl stark beschädigt hat und ihr immer wieder zu schaffen macht.

Cloris kommt in der Einsamkeit und Weite der fulminanten Landschaft zu dem Entschluss, die Unfallstelle zu verlassen und Hilfe zu suchen. Sie meint in weiter Ferne eine Rauchsäule gesehen zu haben. In diesen Passagen in denen Cloris auf sich allein gestellt durch die raue Landschaft wandert und versucht alte Kenntnisse über die Natur hervor zu graben und schlicht zu überleben, ist das Buch stark und überzeugend. Je länger sie unterwegs ist, desto mehr resümiert sie ihr bisheriges Leben und ihre Ehe. Sie stellt Betrachtungen über die sogenannte Zivilisation an und macht sich tatsächlich Gedanken über ihre Zukunft, sollte sie überleben.

Als eine Frau des Piloten ihren Mann vermisst meldet, wird nach einigen Tagen klar, dass es eine Verbindung zu dem merkwürdigen Notruf gibt, den niemand richtig einordnen konnte und Debra Lewis beginnt mit der Suche. Gleichzeitig wird auch nach einem Mann gefahndet, dem sogenannten Arizona Kisser, der ein entflohener Häftling ist und ebenfalls in der Gegend vermutet wird.

Dieses Buch steht in der Tradition des klassischen Abenteuerromans und ist ein ganz ungewöhnliches Debüt. Es zeigt die Menschen in dieser wilden Landschaft auf gewisse Art nackt, weil sie so auf sich selbst angewiesen sind und frei von dem, was sie sonst so umgibt. Ein Heim, Familie, all die Dinge die man so anhäuft reduziert auf sich selbst. Ein unglaublich spannendes und intensives Buch, das mit vielen überraschenden Wendungen aufwartet. Mich hat der Erzählstil überzeugt, der in den Passagen über Cloris in der Ich-Form und in den Passagen über Debra in der dritten Person verfasst ist, dadurch ist man Cloris näher und kritischer gegenüber Debra.

Dann gibt es noch ein Thema, dass mich beschäftigt hat: Jemand den ich kennenlerne, der mir gegenüber zutiefst menschlich handelt und den ich deshalb als einen guten Menschen bezeichnen würde, hat vielleicht ein scheußliches Verbrechen begangen. Wie beeinflusst mich das, wenn ich davon erfahre, wie verändert es meine Einstellung dieser Person gegenüber? Und schmälert es meine Achtung vor dieser Person?

Cloris. Von Rye Curtis

 

Erstellt: 02.12.2020 - 05:47  |  Geändert: 19.02.2021 - 15:28