Der Geruch von Wut. Von Gabriele Clima. Rezension von Britta Kiersch

REZENSION
Der Geruch von Wut. Von Gabriele Clima   Hanser Verlag   ISBN 978-3-446-27422-8

„Wenn einer sagt, dass er dir helfen kann, weil er dasselbe durchgemacht hat, dann lügt er, denn du bist du, und er ist jemand anderer, daher kann er nicht wissen, was du durchmachst. Der Beschiss ist, dass du es selbst herausfinden musst. Nur eins ist klar, dass es einen Weg gibt, dass es immer einen Weg gibt; also eigentlich sind es zwei, die leichte und die harte Tour. Und aus irgendeinem verdammten Grund ist es am Ende immer die harte Tour, die funktioniert.“

Alex hat bei einem Autounfall, bei dem er und seine Mutter unterschiedlich schwer verletzt wurden, seinen Vater verloren und ist davon überzeugt, dass der Fahrer des anderen beteiligten Wagens Schuld am Tod seines Vaters hat. All seine Wut bündelt Alex und fixiert sich immer stärker auf seine Rachegedanken. Er kennt den Namen des Mannes, hat auch ein Foto von ihm und als sein Freund Theo ihn zum Treffen einer rassistischen Gruppe mitnimmt, die es auf Schwarze und Ausländer abgesehen hat, hofft Alex, dass diese Jungs ihm helfen, den Mann zu finden. Er wirft alle seine Bedenken über Bord, und weil er gut schreiben kann, lässt er sich darauf ein, für den Anführer der Gruppe Texte für Flyer und eine Ansprache als Gegenleistung für dessen Unterstützung zu verfassen.

Als die Gruppe bei einer nächtlichen Aktion in einer Schule mit vielen Schülern unterschiedlichster Herkunft die Einrichtung demoliert, regen sich bei Alex immer stärkere Zweifel. Die große Gewaltbereitschaft der anderen wird ihm unheimlich und er beginnt sich zu distanzieren, doch das wird nicht akzeptiert. Alex gerät in immer größere Bedrängnis und Gewissenskonflikte und er bekommt zunehmend Angst vor den anderen. Da helfen auch die Gespräche mit seinem Vater, die er in Gedanken und Träumen führt, nicht mehr. Die Eskalation ist vorprogrammiert. Gabriele Clima zeigt mit der Entwicklung dieses Jungen, wie schwierig es ist, mit starken Gefühlen umzugehen. Die Trauer lässt Alex vor allem wütend sein, und Wut braucht in der Regel einen Schuldigen. Der ist in diesem Fall schnell gefunden und dann treibt die Wut den Jungen an. Er will sich rächen an diesem Mann, den er für den Tod seines Vaters verantwortlich macht, ihm zumindest irgendwie seine ganze Wut entgegenschleudern. Diese Systematik, dieses Wechselspiel von Wut und Schuld und dem Ergreifen der erstbesten Gelegenheit beschreibt der Autor sehr nachvollziehbar. Und auch das manchmal undefinierbare, unabsichtliche Hineinrutschen in Situationen, die sich verselbstständigen, für die man aber dennoch die Verantwortung übernehmen muss. Realistisch erscheint mir auch die Beschreibung von dem Druck, den die Gruppe auf die Einzelnen ausübt und wie sich das faschistoide Gedankengut wie ein Geschwür in den Jungen einnistet und zu wuchern beginnt. Die Macht von Sprache wird hier sehr gut erkennbar, wenn leere Worte in große Phrasen gepackt werden.

Großartig ist die Auflösung, das Resümee: Nachdem Alex sich endlich seiner Mutter anvertraut, begreift er, dass Schuldzuweisungen niemandem helfen und dass die Wut ihn blind gemacht hat. Jetzt kann er versuchen, einen sinnvollen Umgang mit dem Verlust und seiner veränderten Situation zu finden, die er bisher noch gar nicht komplett an sich herangelassen hat. Jetzt kann er sich gegen die kranken Ansichten und brutalen Aktivitäten zur Wehr setzen und sich dem Einfluss der Gruppe entziehen.

→  Der Geruch von Wut. Von Gabriele Clima

 

Erstellt: 15.10.2022 - 07:09  |  Geändert: 15.10.2022 - 07:11