Frankfurter Rundschau, 28.12.2005, 15:52 Uhr


Hochglanz und Katerstimmung

Urbanistischer Update (1): Welche Leitbilder der Stadtplanung sind heute tauglich – ein Blick auf die jüngere Entwicklung in Berlin und Hamburg. VON ROBERT KALTENBRUNNER
 

 

Leuchtturm kultureller Art (Foto: dpa)

An einer entlegenen Stelle seines Passagenwerkes äußert Walter Benjamin den Gedanken einer Umkehrung von individueller und kollektiver Wahrnehmung. Dem Individuum sind seine Organempfindungen, Gefühle der Krankheit oder Gesundheit innerlich, aber Phänomene wie Mode, Architektur, Stadt oder Wetter äußerlich. Doch vom Standpunkt des Kollektivs betrachtet, kehre sich das Verhältnis um: Dann, so Benjamin, lassen sich Mode, Stadt und andere gesellschaftliche Formbildungen als innere Vorgänge wie Verdauung oder Atmung verstehen, so dass man durch Städte wie durch die Eingeweide des Kollektivs gehen kann. Wer aber ist das Kollektivsubjekt, das die Stadt heute formt, baut, bewohnt, entwickelt?

Diese Frage ist so ohne weiteres nicht zu beantworten. Zwar nimmt das Gewicht privater Initiativen und Investitionen unübersehbar zu; aber das wäre zunächst einmal wertfrei zu sehen. Generell gilt, dass Stadt einem Funktions- und Bedeutungswandel unterliegt, dass sie weder dynamischen noch normativen Gesetzen folgt. Gewiss, im sich verschärfenden Städtewettbewerb wird Branding als Strategie immer wichtiger. Doch im Bestreben, ihr Marken-Image zu verbessern, konzentrieren sich viele Städte mehr auf die Werte und Emotionen, die die Kunden und Bürger mit dem Produkt verbinden, als auf deren Qualität selbst.

Allenthalben rekurrieren die Kommunen heute auf das gleiche Leitbild: die "europäische Stadt". Dies sei die Stadt, in der unsere Gesellschaft wieder heimisch werden, die alle Bedürfnisse gleichermaßen befriedigen könne. Sie gewährleiste Zukunft aus Herkunft und damit Identität. Den diesbezüglich bekanntesten Versuch stellt das Planwerk Innenstadt in Berlin dar. Standen anfangs der 90er Jahre stadträumlich begrenzte Gebiete wie Potsdamer Platz oder Alexanderplatz im Fokus, sollte nun nicht weniger als die gesamte City ins Bild rücken. Vom Ernst-Reuter-Platz in Charlottenburg bis zur Oberbaumbrücke in Kreuzberg reichte der Versuch, einen Masterplan über die Stadtteile und Teilstädte zu legen. Gerade wegen dieses impliziten Leitbild-Anspruchs entzündete sich darüber eine erbitterte Kontroverse, die sich mittlerweile – mangels Umsetzung – beruhigt, nicht aber überholt hat.

Stadtentwicklung:
Spätestens seit der Wende unterliegen die deutschen Metropolen einem Funktions- und Bedeutungswandel. Im ersten Teil unseres urbanistischen Updates geht es um Planungsstrategien in Berlin und Hamburg; im zweiten um diejenigen in Leipzig und München. Der Autor ist Leiter der Abteilung Bauen, Wohnen, Architektur des Bundesamtes für Bauwesen und Raumordnung (Bonn/Berlin). chth

Was modellhaft sein kann und was nur Mythos ist, muss aber eingehender sortiert werden, will man Städtebau nicht bloß in emotionalen Retro-Orientierung betreiben. Denn die überlieferte Siedlungsform als Idealbild der Stadt zu beschwören, wäre tendenziell ideologisch, weil Erwartungen an die Auswirkungen bestimmter baulich-räumlicher Dispositionen geknüpft werden, ohne dass es dafür schlüssige Belege gäbe.

Theoretisch hat sich zwar die Auffassung durchgesetzt, dass Städte nicht mehr mit dem Kompass geplant werden können. Womit die Ausrichtung auf konstante physikalische Bedingungen, die Festlegung einer mehr oder weniger unwandelbaren Stadtstruktur desavouiert ist. Dessen ungeachtet aber strebt Stadtplanung (noch) immer danach, prognostizierten Entwicklungen mit neuen, möglichst weitsichtig angelegten Mauern gleichsam vorzubauen.

Beispiel Hamburg: Die Stadt war seit je auf die Alster ausgerichtet, den seit dem Mittelalter aufgestauten Binnensee am Nordrand der Altstadt. Der Zollkanal trennte die an der Elbe gelegenen Gebiete des Freihafens von der Wohnstadt. Doch erst die Nachkriegsentwicklung, insbesondere die autobahnähnliche Ost-West-Straße, versetzte den Hafen in einen urbanen Dornröschenschlaf, indem sie ihn vom Stadtkörper abschnürte.

Weiterhin Wachstum in Hamburg

Diese Grunddisposition soll nun gleichsam umgedreht, Hafengegend und Elbufer neu und bildträchtig urbanisiert, damit die Stadt wieder in die Gruppe der dynamischen Metropolen gehievt werden. Flankierend postulierte Hamburgs Erster Bürgermeister Ole von Beust das Motto der "wachsenden Stadt": Schluss mit Zersiedelung und Stadtflucht - die Hansestadt will endlich eine Alternative im Inneren der Stadt bieten. "Nördliches Elbufer" und "Sprung über die Elbe"- so heißen die Entwicklungsschritte, die sich mit einer "Stadterweiterung nach innen" beschäftigen.

Am prominentesten ist dabei die HafenCity: Indem der Siegeszug der Container den Gütertransport zur See revolutionierte, machte er die meist innenstadtnahen Hafengebiete von Amsterdam bis New York überflüssig. Verglichen etwa mit der Canary Wharf in London begann man an der Elbe spät mit der Revitalisierung der wassernahen Flächen. Seit 2001 wird massiv gebaut: an einem lebendigen Stadtteil mit maritimem Flair, nutzungsgemischter Blockstruktur, sorgfältig und ausgewogen geplant. So zumindest stellt es sich die HafenCity Hamburg GmbH vor, die als Entwicklungsträger eine 100%ige städtische Tochter ist. Dass mit der neuen finanzkräftigen Klientel die noch bestehenden alten Nutzungen verdrängt werden, ist evident. Dies betrifft nicht nur die Speicherstadt, den etwa 1,5 Kilometer langen spektakulären Warenlagerkomplex auf der Brookinsel.

Mit teuren Grundstücksverkäufen hat die Stadt von vorn herein den Takt angegeben für die künftigen Preise. Die Hafencity zielt auf eine Hochglanzwirklichkeit, die international vermarktbar sein und anschlussfähig machen soll an prosperierende Städte wie Barcelona oder Sydney. Zwar wird sie ein abgeschotteter Hort der Wohlhabenden kaum sein, schon deshalb nicht, weil wunderbare Wasserplätze, weil geschwungene Stege und Grünzungen ein attraktives Ziel bilden. Gleichwohl liegt die Frage nahe, warum die Hansestadt sich ausgerechnet von großen Baugesten und noch größeren Investoren eine unverwechselbare Identität für das neue Quartier erhofft, und wieso sie nicht das Wohnen für Familien genauso bezuschusst wie ein Urban Entertainment Center.

Urbanität als Management-Ideologie

Urbanität scheint zu einer zeitgenössischen Management-Ideologie geworden zu sein. Freilich müsste man da nachhaken: Was hilft, eingedenk der Erfahrungen der letzten Jahrzehnte, eine Flächennutzungsplanung, die die so komplexe wie einheitliche Wirklichkeit der Stadt von Anfang an zerhackt und nicht mehr will, als ein Nebeneinander sich weitgehend feindlich gegenüberstehender Sachlagen und Funktionen zu organisieren? Haben denn die Kommunen, angesichts ihrer haushälterischen Miseren, überhaupt noch die Kraft, um sich als ausgleichender Moderator unterschiedlicher Interessen zu begreifen - anstatt allein als Zulieferer der Investoren?

Und wer oder was entwickelt dann die Stadt? Muss man nicht, wenn man schon den Staat leichtfertig aus seiner Funktion als aktiver Städtebauer entlässt, vor allem überlegen, wie man die übrigen Mitspieler dazu bringt, städtisch denken und handeln zu können? Die Frage, wem die Stadt gehört und wem sie gehorcht ( den Bürgern, der Politik, den Investoren), wird im kommunalpolitischen Diskurs offenbar nicht gestellt.

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Dokument erstellt am 28.12.2005 um 15:52:05 Uhr
Erscheinungsdatum 29.12.2005


Quelle: http://www.fr-aktuell.de/ressorts/kultur_und_medien/feuilleton/?cnt=776931

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Stand: 08. November 2006
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