Von Sebastian Knauer
In den deutschen Städten stehen Millionen
Quadratmeter Büro- und Gewerbeflächen leer. Bei der Suche nach
Zwischenmietern ist Kreativität gefragt. Die Leerstandsforschung
avanciert zum neuesten Zweig der deutschen Immobilienwirtschaft.
Hamburg - In den deutschen Großstädten sind die bunten Schilder der
Makler an den Häuserfassaden allgegenwärtig: "Zu vermieten, Günstige
Gewerbeflächen, Ladenlokal frei." "Das ist das Dümmste, was man machen
kann", sagt Volker Linneweber, Professor am Institut für Psychologie der
Universität Magdeburg. "Der Hinweis auf Leerstand bringt weiteren
Leerstand", mahnt Linneweber, "diese Schilder symbolisieren nur das
Übel."

Leerstandsort Frankfurt am Main: Ein Fünftel aller Bürotürme
stehen leer (DDP) |
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Das Urteil des Fachmanns ist gut fundiert. Im Auftrag
des internationalen Immobilienmaklers Cushman & Wakefield Healey & Baker
in Frankfurt hat Linneweber das "Phänomen Leerstand von
Gewerbeimmobilien" in Deutschland erforscht. Fast 130 Fachleute aus
Immobilienunternehmen haben sich zu der "beispiellosen
Ressourcenverschwendung in der deutschen Nachkriegsgeschichte" (Studie)
geäußert. Gemeint ist der massenhafte Leerstand teilweiser hochwertiger
Büro und Gewerbeflächen.
Leerstände sind das Barometer für die schlechte Konjunktur. Bei
Mitarbeitern wecken ausgeräumte Bürofluchten die Angst vor dem eigenen
Arbeitsplatzverlust, drücken auf die Stimmung, senken die Motivation.
Gleichzeitig steigern sie jedoch die Bereitschaft zur weiteren
Qualifizierung, fanden die Magdeburger Sozialpsychologen heraus.
Und ungenutzte Quadratmeter gibt es zuhauf. In der Finanzhochburg
Frankfurt am Main steht nach neuesten Zahlen nahezu ein Fünftel aller
Bürotürme leer. In München, Berlin und Düsseldorf kletterte die
Leerstandsrate auf deutlich über zehn Prozent.
In den Metropolen warten jeweils bis zu zwei Millionen Quadratmeter auf
den Einzug von Anwälten, Designstudios, Callcenter oder
Softwareexperten. "Bedrückend, schwierig, angespannt", beurteilt der
Düsseldorfer Immobilienunternehmer Wulff Aengevelt die Baisse. Und für
den Sprecher des Immobilienverbandes Deutschland (IVD), Jürgen Michael
Schick, hat der Niedergang der New Economy vor einigen Jahren "voll ins
Kontor geschlagen".
Kreative Reaktion
Die Branche reagiert mit kreativen Lösungen um den
Leerstand zu kaschieren. "Zwischennutzung" heißt der verzweifelte
Versuch für die Investoren, wenigstens die Betriebskosten der verwaisten
Läden und Büropaläste hereinzuholen. An der Universität Trier
entwickelten Kunststudenten ein Konzept ladengerechter Ausstellungen.
Gleich gegenüber der Porta Nigra in der Innenstadt füllten die
großformatigen Objekte die Schaufensterscheiben eines ehemaligen
Möbelgeschäfts. Kommunikationsdesigner Stephan Zender hat schon Anfragen
von Maklern und Investoren, weiter Einzelhandelsruinen wie Lampen- oder
Schuhgeschäfte mit Leben zu füllen.
In Berlin-Mitte soll nach New Yorker Vorbild gar ein "Wanderzirkus" von
Kunstschaffende, Galerien und Szene-Cafés die Leerstände füllen. "Jeder
belebte Laden ist uns heilig", sagt Kristina Laduch, Leiterin des
Stadtplanungsamtes Mitte. Im Berliner Stadtteil Pankow formierte sich
vor eineinhalb Jahren bereits eine Initiative unter dem Namen "Leerstand
kunstvoll".
Ebenfalls in Berlin hat der Liegenschaftsfonds für landeseigene
Immobilien ein Programm "zur Zwischennutzung schwer vermarktbarer
Häusern" aufgelegt. Zu "extrem günstigen Konditionen" können Musik-Bands
sich in den Leerstands-Objekten in Proberäumen austoben. Im historischen
Hamburger Chilehaus, ein teilweise leer stehendes Schmuckstück der
norddeutschen Backsteinarchitektur, bieten die Inhaber ganze Großetagen
für Produktpräsentationen oder Partys an.
Kurzfristig denkendes Klientel
Das satte Angebot an freien Flächen in oftmals
attraktiven Lagen lockt auch eine Klientel kurzfristigter Mieter. Unter
den Namen "99 Cents", "Preisoase" oder "1 Euromarkt" erobern Verramscher
und Billigmärkte auch Lagen mit guter Laufkundschaft. Sogenannte "Factory
Outlets" öffnen zum Ausverkauf vorübergehend in besten City-Lagen. "Das
sind die Schrecken der Einzelhändler", urteilt Ludwig Bauer, Dozent an
der Deutschen Immobilien Akademie im badischen Freiburg. Doch in der
Flexibilisierung von Mieterstruktur und Vertragszeiten sehen
Leerstands-Experten ein Zukunftsmodell. Nach US-amerikanischen Vorbild
sollen in sogenannten "Business Improvement Districts" gerade die
Einzelhändler den Leerstand bekämpfen. Hamburgs Bürgermeister Ole von
Beust fordert solche Private Public Partnerships zwischen Einzelhandel
und Stadt, um den Niedergang der City aufzuhalten.
Von der gefälligen Straßenmöblierung bis zur wechselnden
Schaufenstergestaltung, der Öffnung von Fußgängerzonen für den
Autoverkehr bis zur Flächenzusammenlegung zu kleiner Läden reichen die
Maßnahmen gegen die Brache. Als erstes Bundesland hat Hamburg jetzt die
rechtlichen Voraussetzungen für solche finanziellen Zweckbündnisse
geschaffen.
Auch die Kölner Firma Cima bietet maßgeschneiderte Konzepte eines
"Flächen-Management". Bei Cima-Geschäftsführer Mario Mensing landen
"verzweifelte Hilferufe aus den Kommunen", denen der Stadtkern
ausblutet.
Experten wie IVD-Fachmann Schick glauben jedoch, dass die Republik mit
ein "Sockel-Leerstand" von "rund sieben bis acht Prozent" aller
Gewerbeimmobilien dauerhaft zurecht kommen muss. Die Zuversicht, dass
der Markt es demnächst richtet, haben die befragten Akteure der
Magdeburger Leerstands-Studie jedenfalls nicht: Eine Mehrheit rechnet
erst nach 2006 mit einer "Belebung" des Immobilienmarkts.
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