Stuttgart (dpa) – Er ist das
Rückgrat der deutschen Wirtschaft. Er beschäftigt die meisten Menschen
in Deutschland, doch die notwendige Hilfe, etwa bei der Steuerpolitik,
wird ihm aus den politischen Lagern verwehrt. So sehen sich die
deutschen Mittelständler, die mit Superlativen aufwarten können.
Mittelständische Unternehmen stellen über 99 Prozent aller
umsatzsteuerpflichtigen Betriebe. Mit 21 Millionen Beschäftigten stellt
der Mittelstand über 70 Prozent aller sozialversicherungspflichtigen
Arbeitsplätze. Mit 60 Prozent tragen die mittleren und kleineren
Unternehmen zur Bruttowertschöpfung bei. Damit nicht genug: Acht von
zehn Lehrlingen in Deutschland lernen ihren Job im Mittelstand. Drei
Viertel aller Patente werden von Mittelständlern eingereicht. "Und das
alles unter wirtschaftspolitischen Rahmenbedingungen, die alles andere
als mittelstandsfreundlich sind", sagt Mario Ohoven, Präsident des
Bundesverbandes mittelständische Wirtschaft (BVMW). Allein die
Bürokratie koste den Mittelstand annähernd 40 Milliarden Euro im Jahr.

Kreditvergabe bei der Geno Bank in Stuttgart (gestellte
Szene). 19 Aktenordner umfassen die Richtlinien der Banken zu
den neuen Eigenkapitalrichtlinien Basel II. Die Regeln machen
Mittelständlern das Leben schwer - und sind Teil der
Bürokratielasten von jährlich 40 Milliarden Euro. (FOTO: DPA) |
|
|
Auch wenn die Mittelständler auf allen wirtschaftlichen und sozialen
Feldern große Erfahrung haben, ihr Rat ist kaum gefragt. "Beim Bündnis
für Arbeit" sind wir nicht dabei und auch zum Innovationsbeirat der
Bundesregierung sind wir bisher nicht geladen, meint ein schwäbischer
Mittelständler. Von der neuen Berliner Regierung, der großen Koalition,
hat man sich auch mehr versprochen. "Die neue Steuerpolitik ist nicht
geglückt", heißt es aus den Vereinigungen der Mittelständler in den
Bundesländern. "Die Unternehmenssteuerreform ist verschoben, wer weiß
wann sie wirklich kommt", meint ein Sprecher des Bundesverbandes der
Mittelständler in Berlin.
Dazu sei noch die Erhöhung der Mehrwertsteuer gekommen, die für
Mittelständler "total kontraproduktiv ist", wie aus dem Berliner Verband
zusätzlich kritisch verlautet. Die Mittelständler sehen sich weiterhin
von der Politik sträflich vernachlässigt, wie Ohoven feststellt.
"Politiker loben in Sonntagsreden den Mittelstand und sitzen von Montag
bis Freitag den Konzernen auf dem Schoss", merkt der Präsident der
Mittelständler kritisch an. Auch die Medien achteten wesentlich mehr auf
die Großkonzerne.
Wenn ein großer Konzern etwa tausend Mitarbeiter entlassen will, dann
setzen sich die Politiker in Szene. Wenn mehrere Mittelständler die
gleiche Zahl an Mitarbeitern abbauen müssen, "dann interessiert das kaum
einen Politiker", bringt Ohoven seine Kritik auf den Nenner. Die großen
Konzerne haben nach Berechnungen der Mittelständler in den vergangenen
zehn Jahren über 15 Prozent ihrer Stellen abgebaut, der Mittelstand habe
über 1,5 Prozent neue Stellen geschaffen.
Wo den Mittelstand der Schuh drückt, hat der Verband für die Berliner
Politiker aufgelistet. Im Gegensatz zu den finanzstarken Großunternehmen
haben kleine und mittlere Unternehmen eine nur sehr dünne Kapitaldecke.
Sie seien deshalb wesentlich stärker auf Fremdkapital angewiesen. Aber
der Weg zur Bank ist durch schärfere Richtlinien für die Kreditvergabe,
nämlich Basel II, wesentlich erschwert. Zur dünnen Finanzdecke von
durchschnittlich sieben Prozent Eigenkapital kommen hohe
Verbindlichkeiten. Gut zwei Drittel der Bilanzsumme seien
schuldenfinanziert.
Die Mittelständler sind nicht so straff organisiert
wie die Großindustrie. Ihre Interessenvertreter sprechen oft nicht mit
einer Stimme. Zu individuell sind ihre Interessen. "Aus diesem Grund
kann man sie auch leicht ausspielen", meint ein Stuttgarter
Autozulieferer. Doch auch die Politiker müssten wissen, dass dem
Mittelstand geholfen werden muss. "Wir brauchen jetzt eine
Standortpolitik in Deutschland, die Eigenkapitalbildung nicht länger
bestraft, sondern durch entsprechende Rahmenbedingungen fördert", meinte
in diesem Zusammenhang Ohoven.
Die neue Bundesregierung habe es in der Hand, den Mittelstand durch eine
mutige Steuerpolitik zu entlasten. Aber alles sehe danach aus, dass der
Mittelstand "wieder einmal auf sich selbst angewiesen sein muss". Die
Mittelständler appellieren deshalb an die Bundeskanzlerin Angela Merkel
(CDU), den Mittelstand zur Chefsache zu machen.
|