Frankfurter Rundschau, 02.01.2006, 16:20 Uhr


Umbau und Aneignung

Urbanistischer Update (2): Welche Leitbilder der Stadtplanung sind heute tauglich – ein Blick auf die jüngere Entwicklung in München und Leipzig. VON ROBERT KALTENBRUNNER
 

 

Dass Architektur "in zerstreuter Gewöhnung" und nicht in konzentrierter Aufmerksamkeit aufgenommen wird, ist eine so schöne wie zutreffende Beobachtung Walter Benjamins. Ob sie denn auch auf die Stadt als Lebenswelt gemünzt werden kann? Zumindest scheint das menschliche Sensorium für die vergleichsweise labyrinthischen Verhältnisse seiner künstlichen Umwelt nicht ohne weiteres konditioniert. Als organisiertes Gemeinwesen jedoch muss sie sich immer wieder neu in Form bringen, um sich der Identifikation durch seine Bewohner zu versichern.

In München jedenfalls kann von "zerstreuter Gewöhnung" die Rede kaum sein. Sie sei "die einzig ernst zu nehmende Stadt in Deutschland – zumindest was das Stadtbild angeht". Dem Verdikt des Schweizer Museumsleiters Christoph Vitali werden wohl, und nicht nur insgeheim, viele Touristen beipflichten. Wohlsituiertes Klientel und liebliche Plätze, hoher Freizeitwert und breite Straßenzüge, vitale City und großzügige Parks, erkennbar historisch und doch geprägt von High-Tech: So in etwa mag das Image lauten. Kritischen Geistern indes wird dies all zu sehr nach interessensgelenkter Meinung klingen. Fraglos aber erweist sich die kommunale Planungskultur, vor allem die zunächst belächelte Entscheidung, historische Strukturen weitgehend wiederherzustellen, längst als Qualität, die andernorts Neid und Nachahmung auslöst. So fragwürdig und populistisch der Entscheid gegen weitere Hochhäuser im letzten Jahr auch zustande gekommen sein mag, so wenig ist es verfehlt, hier von Anteilnahme einer Bürgergesellschaft zu sprechen. Mit dem Petuelpark, der über einem Verkehrstunnel angelegt wurde, ist durch ein Konzept des Künstlers Stephan Huber eine auf die Milieu-Unterschiede des Orts abgestimmte, vergnügliche Kunst im öffentlichen Raum entstanden: Ein Bürgerpark, der auch das nicht zuletzt durch die Verkehrsschneise mitverursachte soziale Gefälle zwischen den Stadtteilen überbrücken sollte.

"Kompakt, grün und urban": Mit diesem so eingängigen wie simplen Slogan wird heute recht wirkungsvoll in Szene gesetzt, was an Potential vorhanden ist. Wobei man sehen muss, dass München mit seinem überhitzten Immobilienmarkt eine Ausnahmestellung innehat – und dennoch um eine nachhaltige Stadtentwicklung bestrebt ist. Neubaugebiete wie die Parkstadt Schwabing oder die Theresienhöhe, die auf einen Masterplan von Otto Steidle zurückgeht, denken das gewachsene München weiter; die Messestadt Riem hingegen versteht sich eher als eine Art Leuchtzeichen der Stadterweiterung. Ein zentraler Qualitätsbaustein bei all diesen großmaßstäblichen Projekten ist die Mischung aller Einkommensgruppen, von geförderten und nicht geförderten Miet- und Eigentumswohnungen, bis hin zu genossenschaftlichen Wohnformen. Prinzipiell regelt sich dies in München über die "sozialgerechte Bodenordnung" und die Selbstverpflichtung der Stadt bei der Verwendung eigenen Grund und Bodens.

Der Städtebau – dies scheint schon im Begriff selbst angelegt – ist es gewöhnt, Stadt durch bauliche Eingriffe zu gestalten: Infrastrukturen, Stadtteile, Gebäude. Vielfach jedoch vollzieht sich eine städtische Transformation, die sich in radikaler Weise zunächst ohne nennenswerte Veränderung des physischen Raums in so genannten sozialen Brennpunkten oder den Zonen der Schrumpfung vollzieht. Dies wirft zum einen das Problem auf, ob das Verhältnis zwischen Raum und Nutzung nicht neu zu denken ist. Und zum anderen die Frage, ob es neben dem klassischen baulichen Eingriff nicht andere Formen der Intervention gibt, um die Entwicklung zu beeinflussen.

Stadtumbau Ost: Leipziger Impulse

Namentlich Leipzig hat diesbezüglich in den letzten Jahren Antworten zu formulieren versucht – und entscheidende Impulse gesetzt. Offener und offensiver als andere Städte vergleichbarer Größenordnung hat sich die Messestadt selbst in eine Laborsituation begeben. Wie es mit dem Stadtumbau im Osten weitergeht, unter welchen Rahmenbedingungen sich die Sanierung der Strukturen vollzieht, wie der Gesellschaftsumbau gelingt, das wird sich in der Stadt mit ihrem einzigartigen gründerzeitlichen Gebäudebestand exemplarisch erweisen. Und es lässt sich in den ehemaligen Buntgarnwerken in Plagwitz, im Sanierungsgebiet Gohlis, auf dem früheren Eilenburger Bahnhof oder im Musikerviertel schon erahnen. Denn Leipzig mit seinen Leerstellen, seinen verlassenen Fabrikstraßen und sozialen Verwerfungen ist eine Stadt, in der die Zwischenräume zwischen den Inseln kommerzieller Normalität so weit klaffen, dass sie nicht wie sonst in Westeuropa aus der Wahrnehmung ausgeblendet werden können. Das bietet die Chance der Langsamkeit und des Nachdenkens über eine urbanistische Haltung, die nostalgische Architekturkopien und kulissenhafte Historisierung nicht nötig hat.

Mit Instrumenten wie den " Gestattungsverträgen" hat Leipzig eine temporär angemessene Strategie zur Bewältigung des Umbruchs vorgelegt, indem überlieferte Baurechte nicht vorschnell außer Kraft gesetzt, sondern eben nur den konkreten Bedingungen angemessene "Zwischennutzungen" autorisiert werden. Es ist dies eine offene Option auf die Zukunft, die zumindest nichts "verbaut". Und mit dem – viel zitierten und ebenso oft missverstandenen – Postulat von der "perforierten Stadt" hat es auch Eingang gefunden in die städtebauliche Theoriebildung. In Sachsens größter Stadt ist aus der Not eine Tugend gemacht, ein Paradigmenwechsel zumindest eingeleitet worden. Und in der Bürgerschaft scheint die Einsicht in dessen Notwendigkeit verbreiteter als andernorts, ohne dass indes der Anspruch auf kommunale Teilhabe aufgegeben wurde. Denn an den als wahllos empfundenen Abrissen hatte sich Kritik von Einwohnern und Denkmalschützern entzündet, so dass jüngst von der Stadt ein Sicherungsprogramm zur Rettung von "städtebaulich herausragenden Eckgebäuden" an Hauptstraßen vorgelegt wurde: Bürgersinn artikuliert sich im Stadtbild.

Immer wieder – zurück auf Null

Stadtentwicklung: Seit der Wende unterliegen die deutschen Metropolen einem Funktions- und Bedeutungswandel. Nach einem Überblick über die Planungsstrategien in Berlin und Hamburg (29.12.05) geht es abschließend um die Entwicklung in München und Leipzig. Der Autor ist Leiter der Abteilung Bauen, Wohnen, Architektur des Bundesamtes für Bauwesen und Raumordnung (Bonn/Berlin). chth

Der Philosoph Spinoza hatte im 17. Jahrhundert scharfsinnig festgestellt, dass die Eingebungen der Propheten diese selbst nie auch nur ein bisschen schlauer gemacht hätten: Sich selbst kaum zuzuhören und jedes Mal wieder bei Null anzufangen, scheint auch das Schicksal der Stadtentwicklung zu sein. Tatsächlich aber ist Stadt gestaltbarer als vielfach – vorschnell und zu resignativ – angenommen. Nicht nur Architekten und Planer, auch Bürger sollten sich (wieder) als das begreifen, was sie auch sind: nämlich Subjekte und Akteure im Prozess der Stadtbildung.

Die Rolle der Subjektivität, so beschrieb es der Politikwissenschaftler Adalbert Evers, bestehe bezogen auf die Stadt in der Herstellung dessen, was man den "konkreten Ort" nennen könne. Dafür muss man die Couch verlassen und auf der Straße das Städtische wahrnehmen.

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Dokument erstellt am 02.01.2006 um 16:20:14 Uhr
Erscheinungsdatum 03.01.2006


Quelle: http://www.fr-aktuell.de/ressorts/kultur_und_medien/feuilleton/?cnt=778907

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Stand: 08. November 2006
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