Main Post Würzburg, 01.09.2004, 18:48 Uhr


Arcaden in Würzburg –

Die Chronologie
 

 

Sind die Arcaden eine Nummer zu groß für Würzburg? Oder ist Würzburg eine Nummer zu klein für ein Mammut-Projekt, das die Bischofsstadt auf Zukunft trimmen soll? Die Diskussion um die Arcaden zeigt vor allem eins: Chaos. Unzählige Akteure mit noch mehr Meinungen, die sich zudem rasch ändern. Wer blickt da noch durch? Boulevard Würzburg bringt Ordnung ins Durcheinander:


Prolog: Der Hallen-Traum
Die Stadt träumt seit zehn Jahren von einer modernen Veranstaltungshalle. Damals favorisierte Standorte: Talavera und das Gelände der ehemaligen Frankenhalle. 1998: Die Planungen gehen los. Schon jetzt ist klar, dass es problematisch wäre, eine Halle auf ein Einkaufszentrum zu bauen. 2001: Als neuer Standort kommt das Post-Areal am Bahnhof ins Gespräch. Der Stadtrat beschließt, es soll als große Einzelhandelsfläche genutzt werden und einer TV-geeigneten Kongresshalle für 6.000 Zuschauer Platz bieten. Unter dem damaligen OB Jürgen Weber werden 10.000 Quadratmeter Verkaufsfläche geplant. Die Stadt müsste für das Projekt 5,5 Mio. Euro locker machen. Der damalige Investor geht Pleite, die Pläne liegen auf Eis.

1. Akt: Ein Wohltäter taucht auf
Das Essener Unternehmen "Management für Immobilien", kurz: mfi, kauft im April 2003 das Post-Areal von der Post und entwi- ckelt gemeinsam mit der Stadt ein neues Konzept: Die Ladenfläche wächst auf 20 000 Quadratmeter, die Halle – zunächst huckepack auf dem Einkaufszentrum geplant – ist von erträumten 6.500 auf 5.000 Plätze geschrumpft. Aber: Das gesamte Projekt kostet diesmal der Stadt keinen Cent. Sie beauftragt die Nürnberger Gesellschaft für Konsumforschung (GfK) mit einem Markt- und Standortgutachten. Die Kosten zahlt mfi. Januar '04: Das Gutachten liegt vor und fällt positiv für die Arcaden aus, sie brächten der Innenstadt wieder mehr Kunden. März '04: Ein Raumordnungsverfahren (ROV) soll klären, wie sich die Arcaden auf die Nachbarkommunen auswirken. 60 beteiligte Kommunen, Behörden und Institutionen haben die Chance, sich im Zuge des ROV bis Mai zu Wort zu melden.

2. Akt: Unmut macht sich breit
März '04: Die Bürgerinitiative (BI) "Lebenswerte Pleich" schaltet sich ein: Nach einem von ihr in Auftrag gegebenen Verkehrsgutachten befürchtet sie Verkehrschaos und Lärm während der anderthalbjährigen Bauzeit der Arcaden und durch spätere Besucherströme. Sie fordert, den Arcaden-Verkehr teilweise mit einem Tunnel zu umbauen.

3. Akt: Die Händler bibbern
März '04: Der Bezirksverband des Bayerischen Einzelhandels (LBE), der sich noch ein Jahr zuvor von dem Arcaden-Projekt Vorteile versprochen hatte, bekommt kalte Füße. Das GfK-Gutachten sei nicht neutral, sagen die Händler und geben im April ein eigenes in Auftrag – bei einer Tochtergesellschaft der LBE, der Münchner Stadtmarketing GmbH CIMA. (Derweil haben einige Einzelhändler wohl schon mit mfi über Ladenmieten in den Arcaden verhandelt, will man mfi-Vorstand Herbert Appel glauben, der bei einer Info-Veranstaltung mit einer vierseitigen Interessenten-Liste wedelt.) Das Ergebnis der CIMA: Starke Magnetwirkung durch Arcaden. Aber: Von den steigenden Besucherzahlen würden nur die umliegenden Geschäfte profitieren. Auf jeden Fall steigen würde der Verkehr.

4. Akt: Der Stadtrat sagt Jein mit Bauchweh
Mai '04: Im Zuge des ROVs müssen auch die Würzburger Stadträte über das Projekt abstimmen: 30 sagen Ja 18 Nein: ABER: Das Ja ist kein Ja, sondern ein Vielleicht. Wie Baureferent Christian Baumgart betont, könne das Projekt noch gekippt werden, wie beim Mainpark an der B19 geschehen. Also erstellt der Rat ein Pflichtenheftchen für die mfi.

5. Akt: Der Widerstand formiert sich
Mai/Juni '04: Der Verschönerungsverein meldet sich zu Wort: Der denkmalgeschützte Ringparkgürtel ist in Gefahr. Die ödp prüft die Möglichkeit eines Bürgerbegehrens und macht sich stark für ein Bündnis aller Arcaden-Gegner, darunter Natur- und Denkmalschützer.

6. Akt: 1 : 0 für die BI "Lebenswerte Pleich"
Juli '04: Kurswechsel nach einem Jahr Planung: Die Halle kommt nicht huckepack auf die Arcaden, sondern zwischen Haugerglacis und Grombühlbrücke. Die BI "Lebenswerte Pleich" freut sich über ein 1 : 0. Sie hatte Angst vor Lärm und verminderter Wohnqualität. Schön für die Pleich-Anwohner, schlecht für die Grombühler. Jetzt fürchten sie den Verkehrskrach. Die Grombühler Runde gibt zu bedenken: "Wann sollen wir dann unsere Wohnungen lüften?" Zur gleichen Zeit bündeln die Arcaden-Gegner ihre Aktionen in der BI "Ringpark in Gefahr" und fordern in Flugblättern, die Arcaden zu verhindern.

7. Akt: Neuer Ort, neuer Zoff
Mit dem neuen Standort kommt neuer Zoff. Diesmal bedrohe die Halle die Bahnhofsquellen, sprich: die Trinkwasserversorgung der Stadt. Der Bund Naturschutz beantragt bei der Regierung, das ROV zu stoppen, bis Gutachten übers Wasser da sind. Mitte Juli '04: Der Ringpark könnte doch zum Weltkulturerbe werden, schlägt Grünen-Bundestagsabgeordnete Ursula Sowa vor. Damit würde der Park teilweise vor Veränderungen geschützt.

8. Akt: Der Arcaden kurzer Rüssel
Ende Juli '04: Nächster Kurswechsel: Der Saugrüssel, mit dem die Ladenpassage zum Röntgenring verlängert werden sollte, wird um 25 Meter gekürzt. Effekt: Der Ringpark-Grüngürtel bleibt erhalten. Über den gekappten Rüssel maulen jetzt die Einzelhändler, weil die Anbindung zur Innenstadt damit durch einen kleinen Wald unterbrochen wäre. Und die Ringpark-BI motzt: "25 Meter bringen nichts. Die asphaltierte Fläche des Busbahnhofs soll dem Ringpark zurückgegeben werden!" August '04: Abwehrkampf statt Synergien – Der Bund der Selbstständigen (BDS) fordert: "Die Innenstadt muss Konkurrent der Arcaden werden!" Ladenbesitzer Carl Schlier rechnet aus, dass mit den Arcaden über 270 Stellen in der City flöten gingen – mfi verspricht hingegen 1200 neue Jobs. Auch das Ja der SPD-Fraktion wackelt: Erst ein Betriebskonzept für die Halle, ein Straba-Konzept und ein aussagekräftiges Verkehrsgutachten – sonst wird aus ihrem Ja ein Nein. 16. August '04: Die Regierung von Unterfranken gibt dem Projekt grünes Licht – sie hat das ROV positiv beschieden.

9. Akt: Wir sind das Volk!
Die BI "Ringpark in Gefahr" bläst zur Gegenwehr. Versucht einen Bürgerentscheid einzufädeln. Erster Schritt: Sie legt Unterschriftenlisten in über 100 Läden aus. Schon einen Tag später stellt sie klar: "Das ist kein Affront gegen den Stadtrat!" (Schließlich will man die Entscheidungsträger ja noch umstimmen, denn die sind sich immer weniger einig.) Die WL-Fraktion um Alt-OB-Weber feuert auf den Stadtbaurat. Weber hat sich die Ordner mit den Plänen angeschaut. Sein Urteil: städtebaulicher Wahnsinn.

Epilog: Beendet der Bürger den Traum?
Die BI hat bis heute rund 3.000 Unterschriften gesammelt. Um einen Bürgerentscheid zu starten, braucht sie 6.000 Unterschriften. Die mfi hält indes an ihrem Zeitplan fest: Im Herbst 2006 werden "Würzburg Arena" und "Würzburg Arcaden" eröffnet. Auf www.mainpost.de können Sie für oder gegen einen Bürgerentscheid abstimmen.


II.) Pro und Contra
Arcaden? Nein, danke!
Weil ...
der Einzelhandel sagt ...
- sie führen dazu, dass die Innenstadt verödet. Kleine Geschäfte würden zu viel Umsatz an die Arcaden verlieren – vor allem Läden, die nicht in nächster Umgebung der Arcaden liegen.
- Läden würden pleite gehen und laut Carl Schlier rund 270 Angestellte auf der Straße stehen.
- Fast-Food-Läden und günstige Großketten in den Arcaden senken das Einkaufsniveau in Würzburg.
Fazit: "Das Projekt ist ein Opferaltar für den Einzelhandel." (Eckart Vogel vom BDS-Ortsverband)

Verschönerer und Bewahrer sagen ...
- die Arcaden würden nicht ins Bild einer 1300 Jahre alten historischen Bischofsstadt passen.
- für die Halle müsste der Bahnhofsvorplatz samt seiner architektonischen Einzigartigkeit geopfert werden.
Fazit: Damit der Bahnhof nicht zum Hasenstall wird, soll der Ringpark Weltkulturerbe und das Bahnhofsensemble unter Denkmalschutz gestellt werden.

Umwelt- und Naturschützer sagen ...
- dass durch den Bau der Halle auch die Bahnhofsquellen und damit die Trinkwasserversorgung in Gefahr wären.
- der Ringpark geschützt werden müsse, weil er wichtig fürs Stadtklima ist. Fazit: Eine Strafanzeige soll das sorglose Bauen und Planen im Trinkwasserschutzgebiet verhindern (BI "Ringpark in Gefahr").

Bürgerinitiative, SPD und Anwohner sagen ...
- der Standort der Halle am Berliner Ring und an der Straßenbahnlinie sorge für Verkehrschaos.
Fazit: Die Straba-Gleisführung vor dem Hauptbahnhof und im Glacis muss geändert werden. (SPD-Stadtrat Hans Werner Loew)

Immobilienbesitzer Angst haben ...
- dass das Mietniveau durch zusätzliche Ladenflächen abgesenkt wird.

Arcaden? Ja, bitte!
Weil ...
OB Pia Beckmann und Baureferent Christian Baumgart sagen ...
- sie bringen Würzburg die lang ersehnte Halle, ohne dass die Stadt einen Cent locker machen müsse.
- die Unversehrtheit der Bahnhofsquellen kann durch Bauauflagen sichergestellt werden.
- dass sie die Innenstadt attraktiver machen.
Fazit: "Wäre es besser nichts zu tun?" (Baureferent Christian Baumgart)

mfi prophezeit ...
- dass die Arcaden 1200 neue Jobs schaffen.
- sie könnten dazu führen, dass sich die hohen Ladenmieten in der Innenstadt auf ein normales Maß einpendeln.
Fazit: "Die Arcaden treiben die Stadtentwicklung voran." (mfi)

die Nürnberger GfK-Gutachter prognostizieren ...
- sie locken auch Kunden aus dem weiteren Umland an, ziehen deren Kaufkraft nach Würzburg.
- sie bringen durch ihre Magnetwirkung auch den schon ansässigen kleinen Läden mehr Kunden.
Fazit: "Arcaden bringen mehr Vorteile als Nachteile." (GfK-Gutachter)

man in Diskussionen immer wieder hört ...
- dass die Arcaden in Augsburg oder Regensburg gezeigt haben, dass sie für die dortigen Einzelhändler nicht das Aus bedeuten.
- dass sie den hiesigen Einzelhandel zu einem Wettbewerb herausfordern, der auch alteingesessene Händler motiviert, womöglich veraltete Ladenkonzepte und Warensortimente umzumodeln.
- dass der Bahnhofsvorplatz endlich aufgepeppt wird _ und das für lau.
- dass die Arcaden wenn nicht hier, dann in Dettelbach, Kitzingen oder sonstwo gebaut werden und potenzielle Kunden vollends verloren gehen.
Fazit: "Eine Chance zur Modernisierung, die Würzburg nicht verpassen darf."


III.) Der Plan & seine Alternativen
So ist's geplant:
Das Einkaufscenter "Arcaden" (1) steht westlich des Hauptbahnhofs (2). Der Eingang des Centers ist am Haugering, der moderne Bau zieht sich parallel zur Bismarckstraße hin. Östlich des Bahnhofs bleibt der Parkplatz (3). Anstelle des Quellenbach-Parkhauses entsteht der neue Busbahnhof mit Parkdeck (4). Die Veranstaltungshalle wird nicht _ wie ursprünglich geplant _ auf den Arcaden, sondern östlich des Bahnhofs, am Haugerglacis gebaut.
Andere Vorschläge:
- Als Standort für die Halle böte sich auch der Mainfrankenpark an; so bliebe der Stadt das Verkehrschaos erspart.
- S. Oliver-Halle oder Frankenhalle zur Veranstaltungshalle umbauen.
- Eigenes Profil statt Arcaden: Wird die Bahnverbindung nach Frankfurt optimiert, könnte man Arbeitsplätze und Berufstätige aus der teuren Metropole holen.
- Wenn's Bedarf an neuen Ladenflächen gibt, soll mfi in der Innenstadt investieren.


IV.) Kommentar
Ein Ja des Stadtrats, in dem vorsorglich ein Nein eingebaut ist; Menschen, die den Bahnhofsvorplatz samt Buden als "qualitätsvollen Beitrag der nachgeholten frühen Moderne" huldigen; Politiker, die den Ringpark mal eben für den Titel Weltkulturerbe ins Rennen schicken wollen. Schnapsideen? Fehlanzeige! Das sind nur einige der irrwitzigen Blüten, die der Streit um das Arcaden-Projekt hervorgebracht hat. Das Wirrwarr aus Ja- und Nein-Sagern übertönt das jahrelange Gejammer über den Status quo. Darin sind sich alle einig: In der Innenstadt muss etwas passieren, um den Umsatzeinbruch von 20 Prozent in den vergangenen zehn Jahren zu stoppen. Kann ja wohl nicht sein, dass die Stadt versucht, einen Interessenausgleich zwischen Investor, Bürgerinitiativen und Einzelhandel zu finden, indem sie die Halle verlegt, den Rüssel kappt. Die Ringpark-Fans aber stur an ihren Maximalforderungen festhalten.
Klar ist, es wird Kompromisse geben müssen, will Würzburg den Anschluss an zeitgemäßes Vorwärts nicht verpassen. Derzeit sieht es aber so aus, als würde das Projekt in dem Gezerre der Einzelkämpfer und Interessensvertreter zerredet. Es will scheinen, als denke jeder nur an sich, aber niemand an Würzburg.

Quelle: http://www.mainpost.de/mainfranken/wuestadt/735,2788536.html


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Stand: 08. November 2006
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