Sind die Arcaden eine Nummer zu groß für Würzburg?
Oder ist Würzburg eine Nummer zu klein für ein Mammut-Projekt, das die
Bischofsstadt auf Zukunft trimmen soll? Die Diskussion um die Arcaden
zeigt vor allem eins: Chaos. Unzählige Akteure mit noch mehr Meinungen,
die sich zudem rasch ändern. Wer blickt da noch durch? Boulevard
Würzburg bringt Ordnung ins Durcheinander:
Prolog: Der Hallen-Traum
Die Stadt träumt seit zehn Jahren von einer modernen
Veranstaltungshalle. Damals favorisierte Standorte: Talavera und das
Gelände der ehemaligen Frankenhalle. 1998: Die Planungen gehen los.
Schon jetzt ist klar, dass es problematisch wäre, eine Halle auf ein
Einkaufszentrum zu bauen. 2001: Als neuer Standort kommt das Post-Areal
am Bahnhof ins Gespräch. Der Stadtrat beschließt, es soll als große
Einzelhandelsfläche genutzt werden und einer TV-geeigneten Kongresshalle
für 6.000 Zuschauer Platz bieten. Unter dem damaligen OB Jürgen Weber
werden 10.000 Quadratmeter Verkaufsfläche geplant. Die Stadt müsste für
das Projekt 5,5 Mio. Euro locker machen. Der damalige Investor geht
Pleite, die Pläne liegen auf Eis.
1. Akt: Ein Wohltäter taucht auf
Das Essener Unternehmen "Management für Immobilien", kurz: mfi, kauft im
April 2003 das Post-Areal von der Post und entwi- ckelt gemeinsam mit
der Stadt ein neues Konzept: Die Ladenfläche wächst auf 20 000
Quadratmeter, die Halle – zunächst huckepack auf dem Einkaufszentrum
geplant – ist von erträumten 6.500 auf 5.000 Plätze geschrumpft. Aber: Das
gesamte Projekt kostet diesmal der Stadt keinen Cent. Sie beauftragt die
Nürnberger Gesellschaft für Konsumforschung (GfK) mit einem Markt- und
Standortgutachten. Die Kosten zahlt mfi. Januar '04: Das Gutachten liegt
vor und fällt positiv für die Arcaden aus, sie brächten der Innenstadt
wieder mehr Kunden. März '04: Ein Raumordnungsverfahren (ROV) soll
klären, wie sich die Arcaden auf die Nachbarkommunen auswirken. 60
beteiligte Kommunen, Behörden und Institutionen haben die Chance, sich
im Zuge des ROV bis Mai zu Wort zu melden.
2. Akt: Unmut macht sich breit
März '04: Die Bürgerinitiative (BI) "Lebenswerte Pleich" schaltet sich
ein: Nach einem von ihr in Auftrag gegebenen Verkehrsgutachten
befürchtet sie Verkehrschaos und Lärm während der anderthalbjährigen
Bauzeit der Arcaden und durch spätere Besucherströme. Sie fordert, den
Arcaden-Verkehr teilweise mit einem Tunnel zu umbauen.
3. Akt: Die Händler bibbern
März '04: Der Bezirksverband des Bayerischen Einzelhandels (LBE), der
sich noch ein Jahr zuvor von dem Arcaden-Projekt Vorteile versprochen
hatte, bekommt kalte Füße. Das GfK-Gutachten sei nicht neutral, sagen
die Händler und geben im April ein eigenes in Auftrag – bei einer
Tochtergesellschaft der LBE, der Münchner Stadtmarketing GmbH CIMA.
(Derweil haben einige Einzelhändler wohl schon mit mfi über Ladenmieten
in den Arcaden verhandelt, will man mfi-Vorstand Herbert Appel glauben,
der bei einer Info-Veranstaltung mit einer vierseitigen
Interessenten-Liste wedelt.) Das Ergebnis der CIMA: Starke Magnetwirkung
durch Arcaden. Aber: Von den steigenden Besucherzahlen würden nur die
umliegenden Geschäfte profitieren. Auf jeden Fall steigen würde der
Verkehr.
4. Akt: Der Stadtrat sagt Jein mit Bauchweh
Mai '04: Im Zuge des ROVs müssen auch die Würzburger Stadträte über das
Projekt abstimmen: 30 sagen Ja 18 Nein: ABER: Das Ja ist kein Ja,
sondern ein Vielleicht. Wie Baureferent Christian Baumgart betont, könne
das Projekt noch gekippt werden, wie beim Mainpark an der B19 geschehen.
Also erstellt der Rat ein Pflichtenheftchen für die mfi.
5. Akt: Der Widerstand formiert sich
Mai/Juni '04: Der Verschönerungsverein meldet sich zu Wort: Der
denkmalgeschützte Ringparkgürtel ist in Gefahr. Die ödp prüft die
Möglichkeit eines Bürgerbegehrens und macht sich stark für ein Bündnis
aller Arcaden-Gegner, darunter Natur- und Denkmalschützer.
6. Akt: 1 : 0 für die BI "Lebenswerte Pleich"
Juli '04: Kurswechsel nach einem Jahr Planung: Die Halle kommt nicht
huckepack auf die Arcaden, sondern zwischen Haugerglacis und
Grombühlbrücke. Die BI "Lebenswerte Pleich" freut sich über ein 1 : 0.
Sie hatte Angst vor Lärm und verminderter Wohnqualität. Schön für die
Pleich-Anwohner, schlecht für die Grombühler. Jetzt fürchten sie den
Verkehrskrach. Die Grombühler Runde gibt zu bedenken: "Wann sollen wir
dann unsere Wohnungen lüften?" Zur gleichen Zeit bündeln die
Arcaden-Gegner ihre Aktionen in der BI "Ringpark in Gefahr" und fordern
in Flugblättern, die Arcaden zu verhindern.
7. Akt: Neuer Ort, neuer Zoff
Mit dem neuen Standort kommt neuer Zoff. Diesmal bedrohe die Halle die
Bahnhofsquellen, sprich: die Trinkwasserversorgung der Stadt. Der Bund
Naturschutz beantragt bei der Regierung, das ROV zu stoppen, bis
Gutachten übers Wasser da sind. Mitte Juli '04: Der Ringpark könnte doch
zum Weltkulturerbe werden, schlägt Grünen-Bundestagsabgeordnete Ursula
Sowa vor. Damit würde der Park teilweise vor Veränderungen geschützt.
8. Akt: Der Arcaden kurzer Rüssel
Ende Juli '04: Nächster Kurswechsel: Der Saugrüssel, mit dem die
Ladenpassage zum Röntgenring verlängert werden sollte, wird um 25 Meter
gekürzt. Effekt: Der Ringpark-Grüngürtel bleibt erhalten. Über den
gekappten Rüssel maulen jetzt die Einzelhändler, weil die Anbindung zur
Innenstadt damit durch einen kleinen Wald unterbrochen wäre. Und die
Ringpark-BI motzt: "25 Meter bringen nichts. Die asphaltierte Fläche des
Busbahnhofs soll dem Ringpark zurückgegeben werden!" August '04:
Abwehrkampf statt Synergien – Der Bund der Selbstständigen (BDS)
fordert: "Die Innenstadt muss Konkurrent der Arcaden werden!"
Ladenbesitzer Carl Schlier rechnet aus, dass mit den Arcaden über 270
Stellen in der City flöten gingen – mfi verspricht hingegen 1200 neue
Jobs. Auch das Ja der SPD-Fraktion wackelt: Erst ein Betriebskonzept für
die Halle, ein Straba-Konzept und ein aussagekräftiges Verkehrsgutachten
– sonst wird aus ihrem Ja ein Nein. 16. August '04: Die Regierung von
Unterfranken gibt dem Projekt grünes Licht – sie hat das ROV positiv
beschieden.
9. Akt: Wir sind das Volk!
Die BI "Ringpark in Gefahr" bläst zur Gegenwehr. Versucht einen
Bürgerentscheid einzufädeln. Erster Schritt: Sie legt
Unterschriftenlisten in über 100 Läden aus. Schon einen Tag später
stellt sie klar: "Das ist kein Affront gegen den Stadtrat!" (Schließlich
will man die Entscheidungsträger ja noch umstimmen, denn die sind sich
immer weniger einig.) Die WL-Fraktion um Alt-OB-Weber feuert auf den
Stadtbaurat. Weber hat sich die Ordner mit den Plänen angeschaut. Sein
Urteil: städtebaulicher Wahnsinn.
Epilog: Beendet der Bürger den Traum?
Die BI hat bis heute rund 3.000 Unterschriften gesammelt. Um einen
Bürgerentscheid zu starten, braucht sie 6.000 Unterschriften. Die mfi
hält indes an ihrem Zeitplan fest: Im Herbst 2006 werden "Würzburg
Arena" und "Würzburg Arcaden" eröffnet. Auf
www.mainpost.de können Sie
für oder gegen einen Bürgerentscheid abstimmen.
II.) Pro und Contra
Arcaden? Nein, danke!
Weil ...
der Einzelhandel sagt ...
- sie führen dazu, dass die Innenstadt verödet. Kleine Geschäfte würden
zu viel Umsatz an die Arcaden verlieren – vor allem Läden, die nicht in
nächster Umgebung der Arcaden liegen.
- Läden würden pleite gehen und laut Carl Schlier rund 270 Angestellte
auf der Straße stehen.
- Fast-Food-Läden und günstige Großketten in den Arcaden senken das
Einkaufsniveau in Würzburg.
Fazit: "Das Projekt ist ein Opferaltar für den Einzelhandel." (Eckart
Vogel vom BDS-Ortsverband)
Verschönerer und Bewahrer sagen ...
- die Arcaden würden nicht ins Bild einer 1300 Jahre alten historischen
Bischofsstadt passen.
- für die Halle müsste der Bahnhofsvorplatz samt seiner
architektonischen Einzigartigkeit geopfert werden.
Fazit: Damit der Bahnhof nicht zum Hasenstall wird, soll der Ringpark
Weltkulturerbe und das Bahnhofsensemble unter Denkmalschutz gestellt
werden.
Umwelt- und Naturschützer sagen ...
- dass durch den Bau der Halle auch die Bahnhofsquellen und damit die
Trinkwasserversorgung in Gefahr wären.
- der Ringpark geschützt werden müsse, weil er wichtig fürs Stadtklima
ist. Fazit: Eine Strafanzeige soll das sorglose Bauen und Planen im
Trinkwasserschutzgebiet verhindern (BI "Ringpark in Gefahr").
Bürgerinitiative, SPD und Anwohner sagen ...
- der Standort der Halle am Berliner Ring und an der Straßenbahnlinie
sorge für Verkehrschaos.
Fazit: Die Straba-Gleisführung vor dem Hauptbahnhof und im Glacis muss
geändert werden. (SPD-Stadtrat Hans Werner Loew)
Immobilienbesitzer Angst haben ...
- dass das Mietniveau durch zusätzliche Ladenflächen abgesenkt wird.
Arcaden? Ja, bitte!
Weil ...
OB Pia Beckmann und Baureferent Christian Baumgart sagen ...
- sie bringen Würzburg die lang ersehnte Halle, ohne dass die Stadt einen
Cent locker machen müsse.
- die Unversehrtheit der Bahnhofsquellen kann durch Bauauflagen
sichergestellt werden.
- dass sie die Innenstadt attraktiver machen.
Fazit: "Wäre es besser nichts zu tun?" (Baureferent Christian Baumgart)
mfi prophezeit ...
- dass die Arcaden 1200 neue Jobs schaffen.
- sie könnten dazu führen,
dass sich die hohen Ladenmieten in der Innenstadt auf ein normales Maß
einpendeln.
Fazit: "Die Arcaden treiben die Stadtentwicklung voran." (mfi)
die Nürnberger GfK-Gutachter prognostizieren ...
- sie locken auch Kunden aus dem weiteren Umland an, ziehen deren
Kaufkraft nach Würzburg.
- sie bringen durch ihre Magnetwirkung auch den schon ansässigen kleinen
Läden mehr Kunden.
Fazit: "Arcaden bringen mehr Vorteile als Nachteile." (GfK-Gutachter)
man in Diskussionen immer wieder hört ...
- dass die Arcaden in Augsburg oder Regensburg gezeigt haben, dass sie
für die dortigen Einzelhändler nicht das Aus bedeuten.
- dass sie den hiesigen Einzelhandel zu einem Wettbewerb herausfordern,
der auch alteingesessene Händler motiviert, womöglich veraltete
Ladenkonzepte und Warensortimente umzumodeln.
- dass der Bahnhofsvorplatz endlich aufgepeppt wird _ und das für lau.
- dass die Arcaden wenn nicht hier, dann in Dettelbach, Kitzingen oder sonstwo
gebaut werden und potenzielle Kunden vollends verloren gehen.
Fazit: "Eine Chance zur Modernisierung, die Würzburg nicht verpassen
darf."
III.) Der Plan & seine Alternativen
So ist's geplant:
Das Einkaufscenter "Arcaden" (1) steht westlich des Hauptbahnhofs (2).
Der Eingang des Centers ist am Haugering, der moderne Bau zieht sich
parallel zur Bismarckstraße hin. Östlich des Bahnhofs bleibt der
Parkplatz (3). Anstelle des Quellenbach-Parkhauses entsteht der neue
Busbahnhof mit Parkdeck (4). Die Veranstaltungshalle wird nicht _ wie
ursprünglich geplant _ auf den Arcaden, sondern östlich des Bahnhofs, am
Haugerglacis gebaut.
Andere Vorschläge:
- Als Standort für die Halle böte sich auch der Mainfrankenpark an; so
bliebe der Stadt das Verkehrschaos erspart.
- S. Oliver-Halle oder Frankenhalle zur Veranstaltungshalle umbauen.
- Eigenes Profil statt Arcaden: Wird die Bahnverbindung nach Frankfurt
optimiert, könnte man Arbeitsplätze und Berufstätige aus der teuren
Metropole holen.
- Wenn's Bedarf an neuen Ladenflächen gibt, soll mfi in der Innenstadt
investieren.
IV.) Kommentar
Ein Ja des Stadtrats, in dem vorsorglich ein Nein eingebaut ist;
Menschen, die den Bahnhofsvorplatz samt Buden als "qualitätsvollen
Beitrag der nachgeholten frühen Moderne" huldigen; Politiker, die den
Ringpark mal eben für den Titel Weltkulturerbe ins Rennen schicken
wollen. Schnapsideen? Fehlanzeige! Das sind nur einige der irrwitzigen
Blüten, die der Streit um das Arcaden-Projekt hervorgebracht hat. Das
Wirrwarr aus Ja- und Nein-Sagern übertönt das jahrelange Gejammer über
den Status quo. Darin sind sich alle einig: In der Innenstadt muss etwas
passieren, um den Umsatzeinbruch von 20 Prozent in den vergangenen zehn
Jahren zu stoppen. Kann ja wohl nicht sein, dass die Stadt versucht,
einen Interessenausgleich zwischen Investor, Bürgerinitiativen und
Einzelhandel zu finden, indem sie die Halle verlegt, den Rüssel kappt.
Die Ringpark-Fans aber stur an ihren Maximalforderungen festhalten.
Klar ist, es wird Kompromisse geben müssen, will Würzburg den Anschluss
an zeitgemäßes Vorwärts nicht verpassen. Derzeit sieht es aber so aus,
als würde das Projekt in dem Gezerre der Einzelkämpfer und
Interessensvertreter zerredet. Es will scheinen, als denke jeder nur an
sich, aber niemand an Würzburg. |