Gerald
John: Ethnische Säuberungen, diplomatische Fehlschläge und NATO-Bomben –
Ein neues Buch erklärt den Kosovokonflikt.
Rezension des Buchtitels von Wolfgang
Petritsch/Karl Kaser/Robert Pichler: Kosovo, Kosova. Mythen,
Daten, Fakten.
Klagenfurt: Wieser-Verlag 1999.
363, XLIII S. 25,80 Euro. ISBN: 3-85129-304-5 (mehr
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Aus: Falter Nr. 33/2004.
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Der Mob war nicht zu
bremsen. Plündernd zogen Albaner durch die Siedlungen des Kosovo, um sie
anschließend niederzubrennen. Über 4.000 Serben vertrieben die
Schlägertrupps aus ihren Heimen, 560 Häuser und 22 orthodoxe Kirchen
legten sie in Schutt und Asche. Insgesamt kamen bei den Ausschreitungen am
17. und 18. März dieses Jahres [2004] 19 Menschen ums Leben.
Wer soll das verstehen? Waren vor wenigen Jahren nicht die Albaner die
Opfer? Bombardierten NATO-Jets damals nicht die Stellungen und Städte der
Serben, um sie von der ethnischen Säuberung des Kosovo abzuhalten?
Serbische Gewaltexzesse und albanische Revanche, gescheiterte
Friedensdiplomatie und umstrittene Militärschläge - nachzulesen ist die
verhängnisvolle wie komplizierte Geschichte des Kosovo nun in dem
bemerkenswert detaillierten Buch "Kosovo-Kosova. Der lange Weg zum
Frieden", das im Klagenfurter Wieser-Verlag erschienen ist. Geschrieben
haben es Robert Pichler, Historiker an der Universität Graz, und Wolfgang
Petritsch, heute Österreichs UN-Botschafter in Genf, der die Verhältnisse
am südosteuropäischen Krisenherd aus der Praxis kennt. In den
Neunzigerjahren war Petritsch EU-Sonderbotschafter für das Kosovo und
danach europäischer Chefverhandler bei den Friedensverhandlungen in
Rambouillet und Paris.
Ihre Studie über das Kosovo beginnen Petritsch und Pichler aber viel
früher. Wer die Serben und Albaner wirklich verstehen will, müsse die
Geschichte ihrer Koexistenz stets mitdenken, schreiben die Autoren. Und
die fängt streng genommen vor über 600 Jahren an, als das Heer des Fürsten
Lazar am Amselfeld den osmanischen Truppen unterlag. In der serbischen
Mythologie begründet die Niederlage den Anspruch auf das zu neunzig
Prozent albanisch besiedelte Kosovo. Wenn schon nicht das Mittelalter, so
arbeitet der erste Teil von "Kosovo-Kosova" kompakt die konfliktträchtige
Beziehung von Serben und Albanern im 20. Jahrhundert auf.
Im Zentrum der Arbeit stehen aber die Ereignisse der Jahre 1998 und 1999,
als die internationale Gemeinschaft erst mit diplomatischen, dann mit
kriegerischen Mitteln versuchte, die drohende humanitäre Katastrophe
abzuwenden. Autor Petritsch verließ die Friedensverhandlungen von
Rambouillet und Paris im Frühjahr 1999 als Verlierer. Von einem "elendigen
Gefühl des Versagens" schreibt er in persönlichen Reflexionen am Ende des
Buches. Umso höher ist den Autoren anzurechnen, dass sie im gesamten Text
nie in ein bequemes Opfer-Täter-Schema verfallen. Selbst die Argumente von
Kriegstreibern wie Slobodan Milosevic versuchen Petritsch und Pichler
stets seriös nachzuvollziehen.
"Kosovo-Kosova" hebt sich deshalb von einseitigen Abhandlungen zum Thema à
la Noam Chomsky ab. Was nicht heißt, das Kritik am internationalen
Krisenmanagement verschwiegen wird. Schwere Fehler listet das Buch auf.
Vor allem die EU agierte konzeptlos und schob das Problem so lange auf,
bis die unterdrückten Albaner vom Prinzip des gewaltlosen Widerstandes
abrückten. Ein Kapitel von Martin Prochazka, ebenfalls Wissenschaftler an
der Uni Graz, über die Zeit nach der NATO-Intervention bis heute rundet
die Analyse ab.
Schade nur, dass Petritsch in seinen "Reflexionen" der Kritik an seiner
eigenen Performance in der Kosovokrise etwas ausweicht. Von Einwänden, die
"eigene Zweifel" bestärkten, schreibt er, viel konkreter wird der
Spitzendiplomat aber nicht. Eine Lücke in einem sonst durchwegs
informativen Werk.
Rezensent: Gerald John, Falter Nr. 33/2004 |