Antonia Gstrein:
Ist der gerechte Krieg der legale Krieg?


Rezension des Buchtitels von Reinhard Merkel (Hrsg.): Der Kosovo-Krieg u
nd das Völkerrecht.
Frankfurt am Main: Suhrkamp-Verlag 2000. 240 S. 10 Euro. ISBN: 3-518-12152-9 (Mehr Infos / Bestellen).

Der Kosovo-Krieg markiert einen Wendepunkt in der Friedenssicherungspraxis der Internationalen Gemeinschaft. Zum ersten Mal hat die NATO einen Krieg geführt, dessen völkerrechtliche Grundlage wenn nicht fehlte, so doch zumindest angezweifelt werden muss. Der vorliegende Sammelband bemüht sich, auf die Frage nach Fundament, Reichweite, Revisionsbedürftigkeit und Zukunft tradierter Grundnormen des Völkerrechts und der internationalen politischen Ethik eine differenzierte Antwort zu geben. Mit Ausnahme des Aufsatzes von Reinhard Merkel selbst sind alle Beiträge noch während der NATO-Intervention entstanden. Auch wenn sich in der historischen Betrachtung einige Aspekte verändern, so umfasst dieses kleine Buch in beispielhafter Weise doch die Theorieansätze, auf die alle Diskussionen um eine Renormativierung des Völkerrechts zurückgreifen werden.

In einem ersten Aufsatz schildert Bruno Simma die völkerrechtlichen Grundlagen der Gewaltandrohung in den zwischenstaatlichen Beziehungen, um anschließend die konkrete Situation im Kosovo nach diesen Kriterien zu untersuchen. Im Ergebnis kommt Simma zu der klaren Aussage, dass "ob wir die in der Kosovokrise mobilisierten Drohungen der NATO als eine Kapitel VII – Ersatzmaßnahme, als "humanitäre Intervention" oder als Androhung kollektiver Gegenmaßnahmen mit Waffengewalt betrachten – jeder Versuch einer juristischen Rechtfertigung [...] unbefriedigt bleiben [wird]". Doch habe die NATO in ihrem Bestreben, sich in das System der kollektiven Sicherheit einzubinden, nur eine dünne Linie von der Völkerrechtskonformität getrennt. Dennoch müsse diese Intervention eine klare Ausnahme bleiben, um das Friedensziel und das damit verknüpfte Gewaltverbot in den internationalen Beziehungen aufrecht zu erhalten.

Jürgen Habermas nimmt in seinem Aufsatz Stellung zur rechtsphilosophischen Dimension des Kosovo-Konflikts und kommt zu demselben Ergebnis. Überzeugend stellt er dar, welche Ideen und Ideale hinter der Politik einer Intervention zum Schutz der Menschenrechte aber auch hinter den völkerrechtlichen Grundsätzen stehen. Dabei kämpfe das Prinzip der völkerrechtlichen Souveränität und der kodifizierten Normen als Souveränitätsverzicht gegen den Wunsch eines weltbürgerlichen Universalismus. Ein Dilemma ergebe sich nun vor allem deshalb, weil eine solche Weltinnenpolitik noch nicht instrumentalisiert sei, wenn auch Habermas diese für wünschenswert hält. Indem die einzelnen NATO-Staaten, allen voran Amerika, über diesen grundlegenden Umstand hinweggesehen hätten, würden sich Verantwortlichkeiten und Verhältnismäßigkeiten verschieben. Insofern sei besondere Vorsicht geboten und dürfte die nicht legitimierte Intervention der NATO nicht zum Regelfall werden.

Reinhard Merkel greift die Rechtfertigungsversuche der NATO entschieden an. Dabei stellt er eindringlich dar, dass die verheerende menschenrechtliche Situation der Kosovo-Albaner zwar ausreichend Anlass gegeben hätte, auch eine humanitäre Intervention der NATO zu rechtfertigen, aber die Art und Weise jenseits aller völkerrechtlicher Erfordernisse stehe. Das "Ob" der Intervention sei mit einem Nothilferecht zu begründen, da die internationale Friedenssicherung durch die Vereinten Nationen versagt habe. Dagegen könne das "Wie" der Intervention keiner Verhältnismäßigkeitsprüfung standhalten. Schon gegen das Nothilfeprinzip sei verstoßen worden, da nicht nur andere Menschen verletzt wurden, sondern auch der Verursacher selbst nicht direkter Adressat des Angriffs war. Merkel warnt vor einer "macht- und kriegspolitischen Bedenkenlosigkeit", die das normative und politische Konzept der internationalen Beziehungen auf den Kopf zu stellen drohe.

Auch Dieter Senghaas bezieht sich auf das Nothilferecht. Ausgehend von einer klaren juristischen Abgrenzung lenkt er ebenfalls das Augenmerk auf die geforderte Verhältnismäßigkeit des Notwehrangriffs zur vorangegangenen Gewalt. Diesem Prinzip Rechnung zu tragen sei aber nur möglich, wenn eine fundierte und verifizierte Analyse des jeweiligen Konfliktfalls vorläge, was für Senghaas im konkreten Fall völlig vernachlässigt wurde. Erst unter dieser Bedingung könne er sich eine Entwicklung vom Gewaltverbot zum Gewaltmonopol in der internationalen Gemeinschaft vorstellen.

"Der gerechte Krieg ist der legale Krieg" lauten die Schlussworte des Aufsatzes von Ulrich K. Preuß, der treffend darstellt, warum auch schon die Notwendigkeit einer humanitären Intervention der NATO fraglich ist. Zwar wendet er ein, dass die systematische Verletzung der Menschenrechte einer Bevölkerung eine Friedensbedrohung für die gesamte Staatengemeinschaft darstelle, doch gelte es, dieser Gefahr im Rahmen des Systems der kollektiven Sicherheit zu begegnen. Dabei verwirft Preuß die These, dass die NATO gleichsam treuhänderisch für eine handlungsunfähige UNO eingegriffen habe. Denn es seien schon nicht einmal alle Wege versucht worden, im Rahmen dieses Systems die Intervention zu beschließen. So verurteilt Preuß die NATO-Intervention, die "den Versuch [darstelle], unter Berufung auf die Legitimität einer universellen Moral die Legalität der bestehenden völkerrechtlichen Ordnung zu relativieren".

Georg Meggle nimmt den Leser mit auf eine Reise durch die Fragen der Moral. Dabei gelingt es ihm vorzuführen, wie aus dem Recht sich zu wehren und anderen Hilfe zu leisten, das Recht der humanitären Intervention geformt wird, und wie dabei langsam hinter den guten und moralischen Gründen alle Erfordernisse zur legitimen Durchführung verschwimmen. Der mit dem Leser erarbeitete Katalog der notwendigen Verhältnismäßigkeit einer humanitären Intervention wird schließlich vom Autor selbst am Beispiel des Kosovo-Konflikts durchgespielt und so kommt Meggle zu dem fast schon mathematische einleuchtenden Schluss, dass hier ganz wesentliche Punkte völlig missachtet wurden.

Knut Ipsen vertritt eine Gegenposition und fragt, ob der Verstoß gegen das Gewaltverbot durch die NATO-Intervention nicht nach den Grundsätzen der völkerrechtlichen Verantwortlichkeit ausnahmsweise gerechtfertigt sei. Da Massenvertreibungen und Massentötungen eine Verletzung von Frieden, Sicherheit und Menschenrechten darstellen, seien Ziel und Zweck der UN-Charta, gefährdet. Insofern "dient nach dem Proportionalitätsprinzip angedrohte und angewendete Gewalt geradezu der Verwirklichung der Ziele der Vereinten Nationen" und der völkerrechtliche Schutz der Souveränität müsse zurücktreten. Weiter gebiete der Menschen- und Minderheitenschutz, dass Sanktionen auch ausgeführt würden. Sollte die eigene Rechtsordnung ein geschütztes Gut nur bewahren können, indem eine andere Rechtsvorschrift verletzt werde, so sei die Berufung auf den übergesetzlichen Notstand zur Rechtfertigung oder zumindest Entschuldigung möglich. Schließlich könne auf die massivsten Rechtsverletzungen im Kosovo in Form einer Repressalie geantwortet werden, die angesichts des Ausmaßes der Gewalt auch die militärische Intervention nicht ausschließe. Im Ergebnis gebe es damit mehrere Möglichkeiten, die NATO-Intervention als völkerrechtskonform zu bezeichnen.

Otfried Höffe ergänzt die Aufsatzsammlung mit dem Aspekt, dass das serbische Volk durch die internationale Gemeinschaft in seiner Rolle als Täter oder Mitläufer hätte aufgeklärt werden müssen. Genauso wie Defizite in der Krisenprävention bestanden, sei es auch bei dem Versuch geblieben, eine Zivilgesellschaft aufzubauen. Die Konfliktbewältigung der UNO wird dabei insoweit kritisiert, als eine unparteiische Haltung der Großmächten gerade in kritischen Fragen wie der der Menschenrechte, nicht möglich sei. Dennoch könne eine humanitäre Intervention außerhalb des UN-Systems nur in einem sehr viel engeren Rahmen durchgeführt werden.

Zu den Möglichkeiten und Grenzen der humanitären Intervention nimmt im Anschluss auch Wolfgang Kersting Stellung. Dabei deckt er auf, dass der Interventionismus nicht strikt abgelehnt werden könne, im Gegenteil würden derart umfangreiche Menschenrechtsverletzungen wie im Kosovo grundsätzlich eine Gegenreaktion fordern. In der Theorie müsse gefordert werden, dass nicht nur eine iusta causa der Intervention bestehe, sondern die Zielvorgaben auch erreicht werden könnten. In diesem Dilemma erscheine eine militärische Intervention praktisch kaum noch durchführbar.

Ulrich Beck beschließt den Sammelband mit einer Betrachtung der Tendenz eines postnationalen Krieges. Der Tenor laute: "Menschenrecht bricht Völkerrecht. Die Folgen sind revolutionär: die die bisherige Ordnung tragenden Unterscheidungen zwischen Krieg und Frieden, Innen- und Außenpolitik brechen zusammen". Die neuartige Politik wird beschrieben als "militärischer Humanismus" einer globalen Zivilgesellschaft, die ihren Pazifismus auch mit Gewalt durchsetze und in einer Mischform humanitärer Selbstlosigkeit und imperialer Machtlogik auftrete. Diese Entwicklung sei äußerst gefährlich, auch wenn sie vordergründig innerhalb Europas identitätsstiftend wirke.

(
Quelle: Politik-Buch.de)

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Stand: 28. Dezember 2006
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