Andreas Ernst:
Kosovo – die Geschichte von ihrem Ende her. |
Die
Darstellung der Geschichte nicht als Prozess mit prinzipiell offener
Zukunft, sondern als Weg der nationalen Selbstverwirklichung ist das Geschäft
der Nationalgeschichte. Es liegt kaum in der Absicht der Autoren: Aber
"Kosovo
– Kosova" erzählt die Geschichte dieses kleinen und blutigen Flecks
Erde auf genau diese Weise. Dies gilt zumindest für die beiden ersten
Teile des Buches, welche die Jahre von 1285 bis 1997 umfassen. Sie
erscheinen als Vorgeschichte jener letzten großen Krise von 1999, die
Kosovo eine von Serbien unabhängige Existenz brachte.
Im
vormodernen Osmanischen Reich spielten die ethnolinguistischen Differenzen
in Wahrheit keine wichtige Rolle. Ständische und religiöse Zugehörigkeiten
waren entscheidend, was dazu führte, dass Albaner und Serben (etwa als
Kleinbauern) im gleichen Lager gegen die osmanischen Großgrundbesitzer
stehen konnten. Natürlich weiß das der Verfasser, Karl Kaser, als
ausgewiesener Balkanexperte. In der gewählten Darstellungsform eines
Patchworks aus historischen Fakten und nationalgeschichtlichen Mythen
verschleiern aber die Mythen die Fakten. Wenn er die Schlacht auf dem
Amselfeld durch die Brille der serbischen Nationallegende des 19. Jahrhunderts
erzählt, erfahren wir etwas über serbisches "nation building", aber
nichts über die osmanische Expansion. Denn dafür spielte das Ereignis
vom 28. Juni 1389 keine entscheidende Rolle.
Jugoslawische Integrationsversuche
Im
zweiten Teil, vom Ersten Weltkrieg bis zur Gegenwart, lehnt sich Robert
Pichler stark an das Standardwerk von Noel Malcolm an. Er übernimmt
dessen Neigung zu Kosovo, aber nicht dessen akribische Genauigkeit in
Darstellung und Belegen, die es erlauben, auch gegen den Strich zu lesen.
So bleiben das großalbanische Experiment von Mussolinis Gnaden
(Vereinigung Albaniens, Kosovos und albanischer Siedlungsgebiete in
Montenegro und Mazedonien), die Kollaboration mit Hitler-Deutschland
(SS-Division Skanderbeg) und die hochinteressante Phase nach dem Krieg, in
der eine Balkanföderation zwischen Jugoslawien, Albanien und Bulgarien möglich
schien, konturlos oder werden durch vorangehende serbische Unterdrückung
erklärt. Die Auswahl der Dokumente dient offenkundig der
unausgesprochenen These, die Verfolgung und Vertreibung der Kosovo-Albaner
sei gleichermaßen die Politik des königlichen, des titoistischen und des
«neuen» Jugoslawien unter Milosevic gewesen. Die These trifft zumindest
für das titoistische Jugoslawien nicht zu. Die verfassungsrechtlichen,
politischen und ökonomischen Versuche, Kosovo in den Staatsverband zu
integrieren, waren keineswegs von Anfang an zum Scheitern verurteilt. Es
ging darum, in diesem rückständigen Agrargebiet, das als Lieferanten
billiger Rohstoffe diente, eine nachholende Entwicklung in Gang zu setzen.
Das Scheitern ist nicht auf kolonialistische Ausplünderung, sondern auf
das Versagen des sozialistischen Modells der "ökonomischen
Selbstverwaltung" zurückzuführen.
Die
sozialen Spannungen wurden ethnisch aufgeladen, wobei serbischer und
albanischer Nationalismus eine wesentliche Rolle spielten, um den
interethnischen Gedanken des "Jugoslawismus" zu diskreditieren. So führte
die verstärkte Autonomisierung der Provinz, verbrieft in der Verfassung
von 1974, nicht zum erhofften Integrationsschub dank Föderalisierung,
sondern zu einer Ethnisierung der Politik. Sie schaukelte sich in einer
Sequenz von Konflikten bis zur Ausbildung einer albanischen
Parallelstruktur als "Staat im Staat" hoch. Von da an suchten die
albanischen Führer Veränderungen nicht mehr innerhalb Jugoslawiens,
sondern durch die Internationalisierung des Konflikts zu erreichen. Sie
wurden dabei faktisch von serbischen Politikern vom Schlage eines
Milosevic unterstützt. Die gewählte Perspektive dieser ersten beiden
Teile, welche die Dialektik zwischen dem serbischen und dem albanischen
Nationalismus verkennt und eindeutig zwischen einer "Täter-" und einer
"Opferethnie" unterscheidet, ist wissenschaftlich unergiebig –
politisch ist sie katastrophal.
Kein
internationaler Druck auf die UCK
Dies
wird im dritten Teil sichtbar, der von Wolfgang Petritsch in
Zusammenarbeit mit Robert Pichler verfasst wurde. Petritsch war vom
Oktober 1998 bis zum Juli 1999 Sonderbeauftragter der EU für Kosovo. Er
schreibt als Beteiligter und hat den weitaus informativsten und
interessantesten Teil des Buches verfasst. Für ihn steht fest, dass das
Scheitern der Verhandlungen in Rambouillet der jugoslawischen Seite
anzulasten ist. Ebenso glaubt er mit dem Hinweis, dass im Dayton-Vertrag
Ähnliches verlangt worden sei, die Kritik am berühmt gewordenen Annex B
aufzufangen, der den Zugang der Nato auf das gesamte jugoslawische
Territorium regelt. Wer die Chronik und den im Wortlaut abgedruckten
Vertrag indessen genau liest, kann zum Schluss kommen, dass weder das
Scheitern einer friedlichen Lösung vorbestimmt war noch die Schuld daran
sich so eindeutig zuweisen lässt.
Ausgangslage
ist die 1997 in Gang gekommene Gewaltspirale in Kosovo, angetrieben von
der Befreiungsarmee (UCK) wie von serbischen Sicherheitskräften. Heimtückische
Anschläge und brutale, ziellose Vergeltung führten zur Einschaltung der
Kontaktgruppe (USA, Russland, Deutschland, Großbritannien, Frankreich),
die im März 1998 den Rückzug der Sicherheitskräfte und sofortige
Verhandlungen forderte. Nach UCK-Vorstößen und Gegenschlägen der Serben
im Juni warnte die Nato erstmals vor Luftangriffen. Mitte Oktober schloss
der US-Sonderbeauftragte Holbrooke ein Abkommen mit Milosevic, in dem eine
2000köpfige OSZE-Beobachtermission und unbewaffnete Nato-Überflüge
vereinbart wurden. Man versprach, eine politische Lösung zu suchen und
dabei die territoriale Integrität der Bundesrepublik Jugoslawien zu
respektieren. Da es nicht gelang, die UCK in dieses Abkommen einzubinden,
ging die militärische Konfrontation weiter. Hätten statt dessen
Direktverhandlungen zwischen Milosevic und dem Albanerführer Rugova
stattgefunden (es gab Ansätze dazu) und hätte dieser die UCK in sein
Lager bringen können, wäre eine nachhaltige Beruhigung durchaus möglich
gewesen. Das sagt Petritsch nicht explizit, hingegen stellt er fest, dass
der Westen über keine direkten Druckmittel gegen die UCK verfügte. Man
kann die einseitige Bombardierungsdrohung gegen Milosevic durchaus als
Anreiz für die Albaner zur militärischen Option betrachten.
Milosevic
in der Enge
Ein
serbisches Massaker an albanischen Zivilisten in Racak im Januar 1999
wurde zum Fanal für die verstärkte Kriegsdrohung der Nato und den
Rambouillet-Prozess. Nach mehr als zwei Wochen intensiver Pendeldiplomatie
zwischen den Stockwerken von Schloss Rambouillet schien alles offen. Die
Albaner wehrten sich gegen die Entwaffnung der UCK, und die Option der
Eigenstaatlichkeit war ihnen zu vage. Umgekehrt lehnten die Jugoslawen die
Implementierung des Abkommens durch Nato-Truppen ab, und der Verbleib von
Kosovo im Staat schien unsicher. Man werde Jugoslawien zur Annahme des
Vertrags zwingen, hieß es nun aus den USA, und fast die gesamte Medienöffentlichkeit
war sich einig: die Verantwortung für das Flüchtlingselend trugen allein
die Serben. Diese Front verstärkte die serbische Intransigenz, was
umgekehrt den Albanern die Unterschrift leichter machte. Denn damit hatten
sie den Westen voll und ganz zum Verbündeten. Am 19. März wurden
die Verhandlungen abgebrochen, gleichzeitig die OSZE-Beobachter zurückgezogen,
und am 24. März begannen die Bombardierungen. Das Morden und die
Vertreibungen strebten ihrem Höhepunkt zu.
Zeitgenössische Berichte unterscheiden sich von Ex-post-Darstellungen durch Mehr-Deutigkeit. Eines aber zeigt Petritschs Chronik klar: Kein hegelianischer Zwang der Geschichte war hier am Werk. |
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Stand: 28. Dezember 2006
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