Theodor W. Adorno
(1903-1969)


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Theodor Wiesengrund (W.) Adorno, geboren 1903,  ist einer der herausragenden Philosophen des 20. Jahrhunderts. Als Vertreter der Kritischen Theorie und der Frankfurter Schule, als Vordenker der Studentenbewegung, als Essayist, Musikkritiker, Komponist und Hochschullehrer hat er die Geistesgeschichte nicht nur der Bundesrepublik entscheidend geprägt. Sein pointierter Stil, die Vielfalt seiner Themen und seine kritische Auseinandersetzung mit der politischen und geschichtlichen Situation haben ihn über die engen Fachgrenzen der Philosophie und Soziologie hinaus bekannt und zu einem der führenden Intellektuellen gemacht, dessen Schriften, Aphorismen und Gedanken mittlerweile zum festen Bestandteil unseres kulturellen Erbes geworden sind.
Am 11. September 2003 wäre Theodor W. Adorno 100 Jahre alt geworden. Aus diesem Anlass erscheint eine Vielzahl neuer Bücher: Von Biografien und einer Bildmonografie mit bisher gänzlich unbekanntem Material über Editionen verschiedener Briefwechsel mit bekannten Geistesgrößen und Kollegen wie Horkheimer oder Thomas Mann, bis hin zu einem neuen Vorlesungsband und Büchern über seine Zeit in Frankreich und Amorbach, dem Paradies seiner Kindheit, reicht das Spektrum. Zugleich kommt eine Taschenbuch-Kassette mit seinen Hauptwerken neu heraus und die zwanzig Bände seiner "Gesammelten Schriften" sind erstmals im Taschenbuch auch einzeln lieferbar. (Quelle: Suhrkamp-Verlag)

Der Buchladen "Neuer Weg" in Würzburg hat eine Literaturauswahl zusammengestellt.



 Leseproben                                                              

Theodor W. Adorno: Negative Dialektik (1969)


Philosophie, die einmal überholt schien, erhält sich am Leben, weil der Augenblick ihrer Verwirklichung versäumt ward. Das summarische Urteil, sie habe die Welt bloß interpretiert, sei durch Resignation vor der Realität verkrüppelt auch in sich, wird zum Defaitismus der Vernunft, nachdem die Veränderung der Welt mißlang. Sie gewährt keinen Ort, von dem aus Theorie als solche des Anachronistischen, dessen sie nach wie vor verdächtig ist, konkret zu überführen wäre.
Vielleicht langte die Interpretation nicht zu, die den praktischen Übergang verhieß. Der Augenblick, an dem die Kritik der Theorie hing, läßt nicht theoretisch sich prolongieren. Praxis, auf unabsehbare Zeit vertagt, ist nicht mehr die Einspruchsinstanz gegen selbstzufriedene Spekulation, sondern meist der Vorwand, unter dem Exekutiven den kritischen Gedanken als eitel abzuwürgen, dessen verändernde Praxis bedürfte.
Nachdem Philosophie das Versprechen, sie sei eins mit der Wirklichkeit oder stünde unmittelbar vor deren Herstellung, brach, ist sie genötigt, sich selber rücksichtslos zu kritisieren.


(Adorno, Theodor W.: Negative Dialektik, Einleitung, S. 15. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1969. 16,00 EUR. ISBN 3-518-29306-0)


Theodor W. Adorno: Ästhetische Theorie (1970)


Zur Selbstverständlichkeit wurde, daß nichts, was die Kunst betrifft, mehr selbstverständlich ist, weder in ihr noch in ihrem Verhältnis zum Ganzen, nicht einmal ihr Existenzrecht. Die Einbuße an reflexionslos oder unproblematisch zu Tuendem wird nicht kompensiert durch die offene Unendlichkeit des möglich Gewordenen, der die Reflexion sich gegenübersieht. Erweiterung zeigt in vielen Dimensionen sich als Schrumpfung. Das Meer des nie Geahnten, auf das die revolutionären Kunstbewegungen um 1910 sich hinauswagten, hat nicht das verhießene abenteuerliche Glück beschieden. Statt dessen hat der damals ausgelöste Prozeß die Kategorien angefressen, in deren Namen er begonnen wurde. Mehr stets wurde in den Strudel des neu Tabuisierten hineingerissen; allerorten freuten die Künstler weniger sich des neu gewonnenen Reiches der Freiheit, als daß sie sogleich wieder nach vorgeblicher, kaum je tragfähiger Ordnung trachteten. Denn die absolute Freiheit in der Kunst, stets noch einem Partikularen, gerät in Widerspruch zum perennierenden Stande von Unfreiheit im Ganzen. In diesem ist der Ort der Kunst ungewiß geworden. Die Autonomie, die sie erlangte, nachdem sie ihre kultische Funktion und deren Nachbilder abschüttelte, zehrte von der Idee der Humanität. Sie wurde zerrüttet, je weniger Gesellschaft zur humanen wurde. In der Kunst verblaßten kraft ihres eigenen Bewegungsgesetzes die Konstituentien, die ihr aus dem Ideal der Humanität zugewachsen waren. Wohl bleibt ihre Autonomie irrevokabel. Alle Versuche, durch gesellschaftliche Funktion der Kunst zurückzuerstatten, woran sie zweifelt und woran zu zweifeln sie ausdrückt, sind gescheitert. Aber ihre Autonomie beginnt, ein Moment von Blindheit hervorzukehren. Es eignete der Kunst von je; im Zeitalter ihrer Emanzipation überschattet es jedes andere, trotz, wenn nicht wegen der Unnaivetät, der sie schon nach Hegels Einsicht nicht mehr sich entziehen darf.

(Adorno, Theodor W.: Ästhetische Theorie. Gesammelte Schriften Band 7. Frankfurt a. M.: Suhrkamp-Leinenausgabe 1996. 6. Aufl. 30,80 EUR. ISBN 3-518-57083-8)


 Artikel und Links                                                                  


"Alles redet von Adorno... die Beute ist reich: Kongresse so weit das Auge reicht, und bei Suhrkamp [Adorno-Seiten des Suhrkamp-Verlags] sind nicht weniger als 3.300 Seiten Neuigkeiten von und über Adorno angekündigt. Teddy hat das Rennen gemacht, was nicht von Anfang an klar war, wenn man etwa an 1968 denkt: Horkheimer war längst in der Schweiz, Adorno floh vor den nackten Busen. Nur einem applaudierten die revolutionären Massen frenetisch: Herbert Marcuse, im Audimax der FU, dem philosophischen Seitenstück zu Woodstock [...]
Während von Horkheimer und selbst Fromm noch gediegene Gesamtausgaben, sogar im Taschenbuch erhältlich sind, hat Marcuse die Jahrtausendhürde nicht genommen: Zwar hat der Suhrkamp Verlag auch ihm einst eine große Ausgabe seiner Schriften zugedacht. Aber bevor sie ins Taschenbuch hinüberwandern konnte (was sogar Leo Löwenthal geschafft hat), war der Autor auch rezeptionsgeschichtlich verstorben. Heute ist von Marcuse fast nichts mehr lieferbar, sieht man ab von einigen Lüneburger Partisanen, die Verstreutes aus dem Nachlass edieren. [...] Keine Triebstruktur und Gesellschaft, keine Konterrevolution und Revolte, und auch die Permanenz der Kunst scheint so permanent nicht gewesen zu sein.
Zufall? Zweifelhafte Qualität? Zwang der Ökonomie? [...] Sagen wir es endlich offen: Es heißt nicht umsonst Frankfurter Schule. Was hat Marcuse da zu suchen? Da könnte ja jeder kommen! Keine repressive Toleranz mehr mit diesen imperialistischen Hauptstädtern [...] Doch jetzt schlagen die Berliner zurück: Zumindest die sterblichen Überreste des einst verstoßenen Sohnes werden zurückgeholt auf den intellektuellsten Friedhof der Stadt, den Dorotheenstädtischen, vis-à-vis Fichte, Hegel und Bert Brecht - begleitet wenigstens von einem feierlichen Gedenkkolloquium..." (Rüdiger Zill, Frankfurter Rundschau, 15.07.2003)

Marcuse und Adorno (jW, 17.-21.07.2003) – Elemente des Antisemitismus (nadir, 26.01.2002)

Einer, der auszog, den Ekel zu lernen (taz, 18.10.2003)
Marxismus und Moneten (FREITAG, 08.08.2003) – Massen und Meuten (taz, 26.08.2003)
Wiesengründig (FAZ, 25.06.2003)Im Seminar mit Adorno (jungle world, 17.05.2000)
Adorno als Adorno. Biografische Versuche (NZZ, 23.08.20
03)
Was blieb von Adornos Glanz? (Süddeutsche Zeitung, 11.09.2003
)
Adorno-Porträt: In erster Linie Komponist und Musiker (Hessen 3, 07.09.2003)
Adorno-Porträt: Der Bürger als Revolutionär / Wer denkt, ist nicht wütend (SWR 2, 04./11.09.2003
)

Weitere Adorno-Sendungen (SWR 2, August/September 2003)

Adorno-Biografie mit weiterführenden Links (Dt. Historisches Museum Berlin)


taz-Serie "Teddy, der Inkommensurable"
  (0) 100 Jahre Adorno: Zu dieser Serie
  (1) Stephan Wackwitz: Das Buch aus Sand
  (2) Reinhard Kahl: Der Buddha einer Generation (Berichtigung)

  (3) Diedrich Diederichsen: Pop ist ein Absturz
  (4) Thomas Schäfer: Wenn einer stellvertretend für andere denkt
  (5) Jochen Schimmang: Zaungäste des Fortschritts
  (6) Christiane Tewinkel: Hörer, höre strukturell!
  (7) Isabelle Graw: Diese Theoreme arbeiten noch
  (8) Britta Scholze: Der Schein des Glücks und das Erwachen der Fantasie
  (9) Ulf Poschardt: Das Fest der Verschwendung

(10) Harald Fricke: Das Licht der Negation

(11) Detlef Kuhlbrodt: Ich, Welt, Gesellschaft

(12) Michael Rutschky: Glück und Heimweh

 Person:                                                    
 Theodor Wiesengrund Adorno
        




1903
11. September: Theodor Ludwig
Wiesengrund-Adorno wird als Sohn von Oscar

Wiesengrund, Eigentümer einer alteingesessenen
Weingroßhandlung, und seiner Frau, der
italienischen Sängerin Maria, geborene Calvelli-
Adorno della Piana, in Frankfurt am Main geboren

1918/19 Am Gymnasium Freundschaft mit

Siegfried Kracauer

1919 Kompositionsunterricht am Hochschen
Konservatorium bei Bernhard Sekles und Edward
Jung (Klavier)

1921 Abitur als primus omnium. Studium der
Philosophie, Soziologie, Psychologie und
Musikwissenschaft in Frankfurt.
Musikkritiken für die "Neuen Blätter für Kunst und
Literatur". Während des Studiums Beginn der
Freundschaft mit Max Horkheimer und Walter
Benjamin

1924 Promotion über "Die Transzendenz des
Dinglichen und Noematischen in Husserls
Phänomenologie" bei Hans Cornelius (1863-1947)

1925/26 Wien. Musiktheorie und Kompositions-
unterricht bei Alban Berg, Klavierstudium bei
Eduard Steuermann.

1928 Frankfurt. Kontakte zum Kreis um Max
Horkheimer (1895-1973). Rückziehung der ersten
Habilitationsschrift "Der Begriff des Unbewußten

in der transzendentalen Seelenlehre"

1928-30 Redakteur beim "Anbruch.
Österreichische Zeitschrift für Musik" (Wien).

Setzt sich für den Schönberg-Kreis ein

1931 Habilitation bei Paul Tillich (1886-1965) mit
"Kierkegaard, Konstruktion des Ästhetischen".
Privatdozent für Philosophie. Antrittsvorlesung

über "Die Aktualität der Philosophie"

1933 Amtsenthebung und Entzug der Lehrbefugnis

1934 Exil in England, zunächst London, dann
Oxford. Dozent am Merton College

1937 Heirat mit der Chemikerin Dr. Margarete
Karplus

1938 Emigration in die Vereinigten Staaten,
zunächst auf Einladung Max Horkheimers in New

York. Mitglied des ebenfalls übergesiedelten

Instituts für Sozialforschung. Mitarbeit am "Radio

Research Project"

1941-49 Los Angeles. Arbeit an "Dialektik der
Aufklärung" mit Horkheimer.

Berkeley Project on the Nature and Extent of

Antisemitism: "The Authoritarian Personality".
Zusammenarbeit mit Hanns Eisler. Entstehung

von "Minima Moralia" und "Philosophie der neuen

Musik"

1947 Veröffentlichung "Dialektik der Aufklärung"

in den USA. (Erscheint erst 1969 in Deutschland)

1949/50 Rückkehr nach Frankfurt. Mitglied des
1950 wiederbegründeten Instituts für Sozial-

forschung, ab 1958 zusammen mit Max

Horkheimer dessen Leiter. Veröffentlichung

von "Philosophie der neuen Musik", "Der

autoritäre Charakter", ab 1949 außerplanmäßiger

Professor, 1953 außerordentlicher Professor

der Sozialphilosophie, von 1956-1969

ordentlicher Professor der Soziologie und

Philosophie.

1951 Veröffentlichung von "Minima Moralia.

Reflexionen aus dem beschädigten Leben"

1952-53 USA. Wissenschaftliche Leitung der

Hacker Foundation in Beverly Hills

1954 Arnold Schönberg-Medaille

1956-69 Ordinarius an der Frankfurter Universität.

"Zur Metakritik der Erkenntnistheorie" (1956),

"Jargon der Eigentlichkeit - Zur deutschen

Ideologie" (1964)

1959 Berliner Kritikerpreis für Literatur

1961 Beginn des "Positivismusstreits" mit Karl

Popper auf dem Soziologentag in Tübingen

1963 Goethe-Plakette. Vorsitzender der

deutschen Gesellschaft für Soziologie. "Studien

zu Hegel"

1966 "Negative Dialektik"

1969 6. August: Adorno stirbt während eines
Ferienaufenthalts in Visp/Wallis an den Folgen

eines Herzinfarkts.


(Quelle: Suhrkamp-Verlag)


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Stand: 04. Januar 2007
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