Lesung mit
Jürgen Lodemann:

Siegfried und Krimhild

Mittwoch, 04. Dezember  2002, 20:15 Uhr
Buchladen Neuer Weg, Sanderstr. 23-25, 97070 Würzburg


"Roman" steht da ganz schlicht und unschuldig auf dem Umschlag von Jürgen Lodemanns neuem Werk "Siegfried und Krimhild". Daß dieses Buch viel mehr ist, merkt man schon nach den ersten Seiten. Eigentlich hat man es mit einem belletristischen und geschichtswissenschaftlichem Universalkompendium zu tun. Denn alles ist drin: Liebe (natürlich), Krimi, Fantasy, Erotik, Action, Humor, saftige Historie, Sozialkritik, Geschichtsschreibungskritik, usw.
Erzählt wird die "älteste deutsche Geschichte", die bekannte Sage vom Nibelungen, sein schneller Aufstieg und sein noch schnellerer Fall am Hofe zu Worms. Erzählt wird hier aber auch von einer Zeit des Kampfes der Kulturen, als die keltisch-germanischen Naturreligionen durch christliche Prinzipien gewaltsam ersetzt wurden, als die römische Kirche begann, die ihr nicht genehmen alten Sagen umzuschreiben. Wir sehen hier den Anfang der Umgestaltung unserer Welt, die Wiege unserer heutigen abendländischen Kultur. Und wir sehen, daß viele Erfolge und Errungenschaften unserer Zeit nur Wiederherstellungen früherer Zustände sind.
Im Zentrum der Geschichte steht die Liebe von Siegfried und Krimhild, um derer Willen der hier als gebildeter und weit gereister Mann auftretende Siegfried in den Dienst der geistig engen Herrscher von Worms tritt.
Siegfried ist die Symbolfigur für die alten Naturreligionen, sein Mörder Hagen steht für die Verknüpfung von christlicher Religion und weltlicher Macht. Lodemann, der sein Leben lang gegen seine stark ideologische Prägung in seiner Kindheit durch den Nationalsozialismus angeschrieben hat, entwirft ein vergleichsweise unkonventionelles Bild von Siegfried, dem Nachfahren von Arminius dem Cherusker. Er wird uns gezeigt als Querdenker, als einer, der zuviel weiß, ein Liebling des Volkes, ein Tatmensch, einer, der für die neuen christlichen Machthaber eine Gefahr darstellt, weil er sich nicht blenden läßt, das irdische Leben nicht für ein zu überwindendes Jammertal hält. Und deshalb wird er ermordet. Sein Untergang markiert den Untergang einer anarchischen Kultur, einer Kultur der Diesseitigkeit.
Und auch Krimhild ist bei Lodemann keineswegs die stille, duldsame Frau, als die sie im Nibelungenlied gezeichnet wird. Vielmehr ist sie eine selbstbewusste junge Frau, die weiß, was sie will, die sich ihres Glückes und ihres Genusses beim nächtlichen „Frauenfreuen“ und „fliegen“ mit ihrem Geliebten nicht schämt. Doch auch um sie, die noch in großen Stücken dem alten heidnischen Glauben und seiner lebensbejahenden Grundhaltung verhaftet ist, ziehen sich schon die Fäden des Christentums. So wird sie in einer amüsanten Szene vom Bischof zu Worms, der um ihre unsterbliche Seele fürchtet, zur Art ihres Umgangs mit ihrem Geliebten befragt. Und auch am bekannt schrecklichen Ende gibt sie nicht klein bei, ordnet sich nicht unter. Dazu Lodemann: "Die Frauen im von Klosterbrüdern um 1200 aufgeschriebenen Nibelungenlied wirken wie eine Verzierung der Herren, als Kulisse, auch als begehrte Objekte, da fragt man sich, wie kommt eine wie Krimhild dazu, so fürchterliche Rache auszuüben. Da ist etwas verpasst worden, die Entwicklung der Krimhild ist sehr viel komplizierter, sie ist von Anfang an eine willensstarke Frau. Genau das wollte ich herausarbeiten."
Fußnoten und Anmerkungen führen den Leser an einem buchstäblich roten Faden (der Text ist zweifarbig gedruckt) und zeigen diese Beziehungen und Entwicklungen bis in die Neuzeit auf. Hier knüpft Lodemann oft erstaunliche Verbindungen, gibt Denkanstöße, die einen die Gegenwart plötzlich mit ganz anderen, ganz neuen Augen sehen lassen. Viel Etymologisches erfährt man hier auch, zum Beispiel die eigentliche Bedeutung des Wortes "deutsch": "Das Wort deutsch kommt von diet und teut, also von keltischen und germanischen Bedeutungen, die nichts anderes meinen als Volk, Leute, die so genannten einfachen Leute, die nicht durch Latein oder Gelehrtensprache geprägt sind. Reden wie die Leute, das heißt deutsch reden", so Lodemann. "Man könnte bei den Raufereien um die deutsche Identität doch auch mal beachten, welches Wort dahinter steckt und was es bedeutet. Das erklärt uns auch die Siegfried-Geschichte, der es mit dem Volke hat."
Lodemann zeigt, dass der vermeintlich deutsche Nationalmythos eine europäische Geschichte ist. Denn Mitteleuropa war in Zeiten der Völkerwanderung ein Durchzugsland, in dem viele Traditionen sich durchkreuzten und bekämpften.
20 Jahre hat sich Lodemann mit dem Nibelungenlied auseinandergesetzt. Er hat die alte Geschichte „konsequent gegen den Strich gelesen und versucht, Fragen zu beantworten, die die Germanistik nicht einmal gestellt hat. Seine monumentale Recherche macht deutlich, wie die Geschichtsschreibung die Historie verfälscht, wie die Zensur der Tonsur-Träger funktionierte.“
"Ich würde mir wünschen", sagt Lodemann, "dass das Buch nicht in den Feuilletons besprochen wird so blasiert von oben herab, mit Resten germanistischen Wissens operierend, sondern auf die Seite 'Das politische Buch' käme. Es wäre falsch, diesen Roman allein nach literarischen Kriterien zu beurteilen."
Jürgen Lodemann, geboren 1936 in Essen, Studium der Germanistik und Geographie in Freiburg. 30 Jahre Redakteur und Moderator beim Fernsehen in Baden-Baden ("Literaturmagazin", "Café Größenwahn") und Erfinder der "Bestenliste". Dokumentarfilme. Mitglied des PEN-Zentrums. Lehrtätigkeit an den Universitäten Stuttgart, Frankfurt, Marburg und Freuburg, in Essen und im irischen Galway. 1978 Kerr-Preis für Literaturkritik. Zuletzt erschienen von ihm der Roman "Muttermord" und die Biographie "Lortzing".
Siegfried und Krimhild
ISBN 3-608-93548-7

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Muttermord
ISBN 3-88243-605-0

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Lortzing
ISBN 3-88243-733-2

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Preis: 6 € (erm. 4 €)

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Fon: 0931-35591-0
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