Antje Poser und Anna Kita lesen aus

Veza Canetti: "Geduld bringt Rosen"


Donnerstag, 29. Juni 2000, 20:00 Uhr
Buchladen Neuer Weg, Sanderstraße 23-25, 97070 Würzburg


Veza Canetti wurde in den 90er Jahren als Autorin wieder entdeckt, aber bislang neben dem Werk ihres berühmten Ehemannes, Elias Canetti, nach wie vor wenig zur Kenntnis genommen. Im Zentrum ihrer Erzählungen stehen zumeist Frauen – Frauen, die aufgrund der herrschenden Sozialstruktur zu Opfern werden, sei es in einer von Gewalt beherrschten Ehe oder in der Abhängigkeit eines Angestelltenverhältnisses in Zeiten steigender Arbeitslosigkeit und fehlender sozialer Absicherung.
Kennzeichnend dabei ist die naive Weltsicht ihrer Protagonistinnen, die fest an die Gerechtigkeit und das Gute im Menschen glauben und damit unausweichlich in einer Gesellschaft scheitern müssen, die von Prinzipien der Gewinnmaximierung und Geltungssucht beherrscht ist.
Mit den Stilmitteln von Groteske und sanfter Ironie zeichnet sie jedoch ebenso treffend ein Bild der "Täterinnen", die mit ihrer bodenständigen Listigkeit dem Leser vertraut und auf ihre Art beinahe sympathisch erscheinen.

Die aktuelle Veröffentlichung von Veza Canetti: Die Schildkröten 

Veza Canettis unveröffentlichter Exil-Roman spielt in Österreich nach dem "Anschluss": Ehemals friedliche Nachbarn werden plötzlich zu Handlangern des NS-Regimes. Ein schockierender Roman, der die Ängste, die Niedertracht und den Stolz der Menschen zeigt.

ISBN 3-446-19478-9, 36 DM

Rezension zu: Die Schildkröten von Veza Canetti
Die Fratze des Jahr 1938 ist in seinen unmenschlichen und erschütternden Facetten bereits in unzähligen zeitgeschichtlichen Darstellungen wie auch in Romanen und Erinnerungen von Zeitzeugen porträtiert worden. Veza Canettis zweiter aus dem Nachlass publizierter Roman ist eine literarische Darstellung der Ereignisse, die es dennoch schafft, Interesse zu wecken und eine neue Perspektive ermöglicht. Selten wurden Unmenschlichkeiten und Anmaßungen, selbstverständlicher Größenwahn kleiner Nazis und die Illusionen von Juden in einer derart zurückhaltenden Prosa beschrieben.
Mehr Bewunderung als die tatsächliche Schilderung der Bemühungen des Schriftsteller Dr. Andreas Kain und seiner Frau Eva um eine Ausreise aus der "Ostmark , die naiven Versuche von Hilde, die tatsächlich glaubt, einen Aeroplan für die Flucht von einem Nazi kaufen zu können, verlangt wohl der vor dem Schreiben stattgefundene Prozess der Zurücknahme, der Selbstbeschränkung der Autorin Respekt ab. Diese Perspektive muss eine ungeheure Kraftanstrengung gekostet haben, wenn man bedenkt, dass der Roman unmittelbar nach der Flucht nach England 1939 geschrieben wurde.
Diese Distanz, diese fast noble Blasiertheit, mit der die Autorin über die Erniedrigungen schreibt, diese Fülle an kleinen Kunstgriffen, die sie an ihren Opfern vollführt, wenn Eva die Nazi-Frau, die die Villa "arisiert, sprich raubt, fragt, ob sie mit allem zufrieden ist, lässt die menschlichen Klüfte, die Gräben, die zwischen Menschen und Unmenschen bestehen, um so gewaltiger erscheinen.
Doch bei Canetti sind auch die Unmenschen keine Monster mit Fratzen, sondern alltäglichen Erscheinungen, für die eben nur der politische Rahmen geschaffen wurde, um ihre Gelüste ausleben zu können. Die Zurückhaltung Canettis ist fast eine Provokation. Canetti überzieht das Geschehen und ihre Personen mit einer Folie, einem Schutzfilm der Menschlichkeit, der allen Personen, Opfern wie Tätern, das Menschsein nicht abspricht. Dies hat nichts mit Naivität zu tun, vielleicht aber mit Illusionen: in einer ersten Schicht der Erkenntnis dämmert bereits die Shoa. (
R. Streibel, Wien)


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Stand: 25. Januar 2006
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