Norbert Mappes-Niediek: Tausend blinde Flecken.
Rezension des Buchtitels von Jürgen Elsässer: Wie der Dschihad nach Europa kam.
Gotteskrieger und Geheimdienste auf dem Balkan.
NP-Buchverlag: St. Pölten,
Wien und Linz 2005. 245 Seiten, 19,90 Euro. ISBN: 3-89144-295-5
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Aus: Frankfurter Rundschau, 06.07.2005. |
Balkan und der 11. September
"Südosteuropa", schließt
Jürgen Elsässer nach der Lektüre einiger Bücher zu Al Qaeda und zum
islamistischen Terror, "ist die Terra incognita einer Welt, in der es
ansonsten von fundamentalistischen Kopfjägern nur so wimmelt." In der Tat:
Vom Balkan ist selten die Rede, wenn es um den 11. September geht, und
Elsässer kommt das Verdienst zu, diese Lücke mit einem gut lesbaren Buch
geschlossen zu haben.
Die Lage ist Besorgnis erregend. Erst Anfang Juni wurden in Albanien - was
der Autor nicht wissen konnte - wieder Konten zweier Organisationen
eingefroren, die sich scheinbar im Moscheenbau und in humanitärer Hilfe
engagierten, in Wirklichkeit aber Geld wuschen und wahrscheinlich den
Terror unterstützen. Vor wenigen Wochen erst kamen im Süden des Landes
zwei junge Männer bei dem Versuch um, eine Handy-Bombe zu basteln -
Teilnehmer eines Kurses der "Revival of Islamic Heritage Foundation". Es
ist wohl nur noch eine Frage der Zeit, wann es zu einem Anschlag kommt.
Einen Nährboden findet der Terror in der zunehmenden Islamisierung unter
Muslimen auf dem Balkan. Das trifft vor allem für Bosnien zu - für die
kulturellen Steppen der Nachkriegszeit also, wo sich saudische und
iranische Fundamentalisten mit harmlosen Computerkursen und vor allem viel
Geld an orientierungslose junge Leute heranmachen. Ein noch wichtigerer
Nährboden aber ist - in Bosnien und besonders in Albanien - die Schwäche
des Staates: Keine Polizei kriegt mit, was international finanzierte
Firmen in Vlora oder Tirana treiben, und wenn doch, ist deren Stillhalten
nur eine Frage des Preises. Elsässer weist die biografischen Spuren von
Al-Qaeda-Aktivisten auch in den Mudschaheddin-Einheiten nach, die im
bosnischen Krieg auf der muslimischen Seite gekämpft haben. Ein Kapitel
leuchtet ihr politisches Umfeld aus, das bis in die Führungsriege der
"Partei der demokratischen Aktion" reicht.
These für die Märchenstunde
Wo der Autor versucht, aus den
Einzelheiten ein politisches Gesamtbild zusammenzusetzen, wird es dann
allerdings oft schief. Dass Jugoslawien mit seiner "glücklichen Mixtur"
aus schwermütigen und fröhlichen Menschen zu Anfang der neunziger Jahre
von "Ewiggestrigen" und ausländischen Geheimdiensten aus einem
paradiesischen Zustand gerissen wurde, wie Elsässer glaubt, ist eher eine
These für die Märchenstunde. Zu unscharf sind bei ihm die Grenzen zwischen
der "muslimischen" Normalbevölkerung in Bosnien, die sich zunächst als
Nation und nicht als Konfession versteht und als solche im Krieg ebenso
wie Serben und Kroaten ihre Armee unterhielt, und den fanatischen
Gotteskämpfern, die meistens aus dem arabischen Ausland stammten.
Vor allem aber ist das "schwarze Loch" Albanien auch für Elsässer offenbar
ein blinder Fleck. Dass etwa die Zeitung Gazeta Shqiptare schreibt, Osama
bin Laden verfüge über "tausende albanische Pässe", lässt auf die
Wirklichkeit keinerlei Rückschlüsse zu. Der Balkan, und besonders
Albanien, ist nicht nur ein Hort der organisierten Kriminalität, sondern
auch die Heimat der freien Erfindung und der üblen Nachrede. Das macht dem
Rechercheur die Arbeit schwer. Oder auch leicht - ganz wie man's nimmt.
(Quelle:
Frankfurter Rundschau, 06.07.2005) |