Robert Kurz: |
Der Wirtschaftshistoriker Robert Kurz, Nürnberg, meint: In Serbien bombardiert der Westen die Ausgeburten seiner eigenen Logik. Wenn die Waffen sprechen, schweigt die Vernunft. Mit derselben hysterischen Aufwallung, die schon die Bomben gegen den Irak begleitet hat, feiert die westliche Öffentlichkeit das elektronische Scheibenschießen "per Mausklick" auf Serbien als ultima ratio des Kampfes um Menschenrechte, Frieden und Freiheit. Auf der einen Seite, so hören wir zum wiederholten Male, stehe die "demokratische Völkergemeinschaft", auf der anderen Seite einer der terroristischen "Schurkenstaaten" mit einem wildgewordenen Diktator an der Spitze, der nicht anders als durch einen Bomben und Raketenhagel am Morden unschuldiger Zivilisten gehindert werden könne. Wenn die demokratischen Waffen ihrerseits aus Versehen unschuldige Zivilisten treffen sollten, dann gehöre das zu den leider unvermeidlichen Risiken und Kosten einer militärischen Intervention, die zwar diesmal nicht durch die UNO legitimiert werden kann, aber eigentlich auch gar kein Krieg sei, sondern nur eine Art Notoperation. Diese Logik ist zwar ziemlich kraus, sie spekuliert aber darauf, daß es derartigen Schlächtern wie Saddam Hussein oder Milosevic gegenüber keine Sympathie und keine Solidarität geben kann. Die ehemaligen Linken und Pazifisten in den europäischen Regierungen, die an der Seite der USA inzwischen als olivgrüne "Demokraten im Kampfanzug" herumlaufen, reden sich so darauf hinaus, daß es "keine Alternative" gebe. Bleibt eigentlich nur noch eine kleine Frage: Woher kommen sie eigentlich, all diese "Schurkenstaaten" und durchdrehenden Diktatoren, die plötzlich in wachsender Zahl die Welt zu bevölkern scheinen und dem demokratischen Weltkonsens seit 1989 so brutal ins Handwerk pfuschen? Es ist auffällig, daß die marktwirtschaftlich demokratische Welt des Westens diese Erscheinungen nicht rational erklären und ihren eigenen Anteil daran erkennen kann. Stattdessen werden die Saddam Husseins und Milosevics als Inkarnationen eines äußerlichen und fremden Bösen jenseits der Geschichte negativ mythologisiert. Damit übernimmt der Westen seinerseits genau jenes irrationale, manichäische Denkmuster der fundamentalistischen Fanatiker, dessen verheerende Auswirkungen er angeblich bekämpft. Diese bemerkenswerte logische Identität der Legitimation auf beiden Seiten deutet darauf hin, daß hier wesentliche historische und ökonomische Zusammenhänge verdrängt werden, weil ihre Offenlegung für das westliche Selbstbewußtsein peinlich wäre. Schon von Anfang an hat die westliche Öffentlichkeit den ökonomischen Hintergrund der jugoslawischen Krise völlig ausgeblendet. Es wurde immer so getan, als seien hier nach dem Tod des als Integrationsfigur wirksamen Staatsgründers Tito plötzlich atavistische "balkanische Instinkte" aus den Abgründen der Geschichte emporgestiegen. In Wirklichkeit war der jugoslawische Bürgerkrieg grundsätzlich sozial und ökonomisch motiviert. Ebenso wie zahlreiche andere Gesellschaften der "nachholenden Modernisierung" im 20. Jahrhundert war das jugoslawische Modell Ende der 80er Jahre bankrott, weil ihm die verschärften Konkurrenzverhältnisse auf dem Weltmarkt die Luft abdrehten. Krise und Zusammenbruch folgten demselben Muster wie in zahlreichen kollabierenden Nationalökonomien an der kapitalistischen Peripherie: Der Kapitalstock konnte mangels Geldkapital nicht auf die Erfordernisse der 3. industriellen Revolution hochgerüstet werden, bei steigenden Importen verfielen die Exportpreise, die Außenverschuldung explodierte. Der Zusammenbruch Jugoslawiens wurde historisch überlagert vom Zusammenbruch der Sowjetunion. Der Westen interpretierte daher ohne große Differenzierung die in den 80er Jahren beginnende Weltkrise ganz einseitig als das Scheitern eines marxistisch staatssozialistischen "Gegenmodells", dessen Ende den Ruhm des Kapitalismus nur umso heller strahlen lasse. Diese in ihrem Kern zum "common sense" gewordene Interpretation, die den neoliberalen Weltkonsens befestigte, war aber von völliger Ignoranz gekennzeichnet. Der Westen wollte nicht begreifen, daß das Ende des vermeintlichen "Gegenmodells" auch der Anfang vom Ende eines gemeinsamen ökonomisch politischen Bezugssystems war. Schon vor zehn Jahren hätte man leicht einsehen können, daß der Zusammenbruch dieses Modells keine spezielle Folge einer "falschen" marxistischen Ideologie war, sondern Bestandteil einer viel allgemeineren Krise des globalen Produktions , Kredit und Währungssystems, die ihre volle Durchschlagskraft zunächst in der Peripherie des Weltmarkts entfaltete. Es waren ja keineswegs nur marxistisch inspirierte Regimes, denen die ökonomische Grundlage wegzubrechen begann. Auch vom Westen protegierte Staaten in Afrika, Lateinamerika und Teilen Asiens erlebten ganz ähnliche ökonomische Einbrüche. Konnte dieser allgemeine Charakter der Krise noch einige Zeit durch die scheinbaren Erfolge der asiatischen Tigerländer und anderer Musterschüler des Kapitalismus in den "emerging markets" verdeckt werden, so hat der unrühmliche Zusammenbruch auch dieses vielgelobten Modells seit 1997 endgültig klar gemacht, daß die westliche Wahrnehmung des krisenhaften historischen Geschehens seit 1989 ganz oberflächlich und ideologisch verzerrt war. Inzwischensteht fest, daß die sogenannten marktwirtschaftlichen Reformen im größten Teil Osteuropas bereits gescheitert sind. Nur eine hartnäckig fortgesetzte Ignoranz kann die Einsicht noch abwehren, daß Kapitalismus und globale Marktbeziehungen nicht etwa die Lösung, sondern einen Teil des Problems darstellen. Gerade der jugoslawische Fall machte diesen Zusammenhang am frühesten deutlich. Denn Jugoslawien hatte sich ja schon unmittelbar nach dem 2. Weltkrieg vom Sowjetblock abgespalten und war dafür vom Westen mit reichlichem Beifall belohnt worden. Das Lob steigerte sich, als die jugoslawische Ökonomie in den 70er und 80er Jahren auf einen strammen Kurs marktwirtschaftlicher Reformen ging; das Land wurde sogar in die OECD aufgenommen. Insofern stellte das ökonomische und soziale Desaster Jugoslawiens Ende der 80er Jahre ironischerweise den Modellfall für das Scheitern der marktwirtschaftlichen Transformation ehemals staatskapitalistischer Länder dar. Aber die ökonomische Dimension dieses Falls wird kaum
wahrgenommen, weil der Zusammenbruch der jugoslawischen Nationalökonomie viel schneller
als anderswo in die Form ethnischer Konflikte überging: Zuerst spalteten sich die
traditionell höher entwickelten nördlichen Regionen Slowenien und Kroatien mit
westlicher (vor allem deutscher) Hilfe vom jugoslawischen Staatsverband ab, dann brach in
Bosnien der Bürgerkrieg zwischen Das Scheitern der marktwirtschaftlichen Reformen und
die westliche Unterstützung der Separatistenbewegungen waren ursächlich verantwortlich
für den Ausbruch der nationalistischen Exzesse. Der Balkan ist in dieser Hinsicht längst
kein Einzelfall mehr: Überall in der Welt gehört es zu den katastrophalen Folgen des
marktwirtschaftlichen Ruins, daß sich bis dahin einigermaßen friedlich miteinander
lebende Menschen als verschiedene "Ethnien" oder Religionsgemeinschaften
definieren und mit blutigen Gemetzeln übereinander herfallen. Auch in Indonesien, soeben
noch gehätscheltes Wunderkind der kapitalistischen Globalisierung, laufen inzwischen in
die Armut zurückgetriebene Menschen mit den aufgespießten Köpfen ihrer Nachbarn herum;
ganz zu schweigen von Ruanda und anderen Bürgerkriegsregionen. Die wahre Geschichte all
dieser Greuel ist noch nicht geschrieben, denn stets handelt es sich um eine
"Fortsetzung der Konkurrenz mit anderen Mitteln" unter den Bedingungen des
ökonomischen Zusammenbruchs. Diese von den Philosophen Johann Gottfried Herder (1744-1803) und Johann Gottlieb Fichte (1762-1814) hervorgebrachte "völkische" Idee reduzierte kulturelle Zusammenhänge auf das abstrakte und irrationale Konzept der modernen Nation, das in dieser Form ebenso wie der westlich liberale Nationalbegriff einer Ideologisierung der beginnenden kapitalistischen Konkurrenz diente und im Laufe des 19. Jahrhunderts mit Elementen eines biologischen Rassismus angereichert wurde. Dabei gibt es eine Überschneidung mit der westlich angelsächsischen Ideologie. Denn schon der Urvater des Liberalismus, Thomas Hobbes (1588-1679), hatte ja die Konkurrenz aller gegen alle zum "natürlichen" Wesen des Menschen erklärt. Der allgemeine liberale Sozialdarwinismus des 19. Jahrhunderts setzte diese Biologisierung sozialer Verhältnisse fort und verband sich in Deutschland mit dem "völkischen" Nationalbegriff Herders und Fichtes. Die deutsche Nation wurde so als eine rassisch kulturelle und biologische "Abstammungsgemeinschaft" definiert; eine Idee, die im Faschismus mit dem Holocaust und der Tötung "lebensunwerten Lebens" ihre schlimmsten Exzesse feierte. Auf dem Balkan und in großen Teilen Osteuropas
übernahm die Schicht der intellektuellen bürgerlichen Modernisierer seit dem Ende des
19. Jahrhunderts den deutschen, "völkisch" rassischen Begriff der Nation.
Angesichts der Tatsache, daß die Bevölkerung dort auf engem Raum im Sinne der
"völkischen" Kriterien völlig inhomogen zusammengesetzt war, wurde mit der
Übernahme der "deutschen Ideologie" von vornherein der Keim einer humanitären
Katastrophe gelegt: Menschen verschiedener Religionen (Moslems, Orthodoxe und Katholiken),
Sprache und Herkunft (Albaner, Serben, Kroaten usw.), die lange Zeit einigermaßen
friedlich zusammengelebt hatten, wurden plötzlich als "rassisch" verschiedene
Nationen definiert, die sich wechselseitig das gemeinsame Territorium streitig machten.
Die heutigen Greuel der "ethnischen Säuberung" gehen auf diese Geschichte
zurück. Und die zugrunde liegende Ideologie ist kein balkanischer Archaismus, sondern
eine giftige Blüte vom Baum der westlichen Modernisierungsgeschichte selbst. Besonders
Deutschland, das jetzt brav im Namen der Menschenrechte mitbombt, ist auf dem Balkan
doppelt mit sich selbst konfrontiert. Denn einerseits spukt dort die
"völkische" Ideologie der deutschen Geschichte, während gleichzeitig die
Erinnerungen an den faschistischen Überfall im 2. Weltkrieg wach werden. Andererseits ist
die deutsche Nation ebenso wie jetzt wieder die Katastrophen Nationen auf dem Balkan auch
heute noch als "völkische Abstammungsgemeinschaft" definiert: Das geltende
deutsche Recht gibt Menschen, die kein Wort Deutsch sprechen und deren Vorfahren vor
Jahrhunderten ausgewandert sind, automatisch die Staatsbürgerschaft, weil angeblich
"deutsches Blut" in ihren Adern fließt. Dasselbe "Blutsrecht"
diskriminiert gleichzeitig Millionen Menschen anderer Herkunft politisch und juristisch,
die in Deutschland geboren sind oder seit Jahrzehnten dort leben. Aber der Westen ist auch noch aus anderen Gründen mit seiner Bombenkampagne gegen Serbien unglaubwürdig. Zum einen handelt es sich formal um einen gefährlichen Präzedenzfall: Ohne Mandat der UNO nimmt sich die NATO ein Recht zur Intervention heraus. Die nach dem 2. Weltkrieg mühsam in völkerrechtliche Formen gebrachte gegenseitige Anerkennung der kapitalistischen Staats Leviathane mit ihrer "territorialen Integrität" ist damit nur noch Makulatur; der Verwilderung der internationalen Beziehungen im 21. Jahrhundert wurden Tür und Tor geöffnet. Zum anderen ist die humanitäre Begründung für die Intervention solange moralisch illegitim, wie gleich nebenan der NATO Partner Türkei unter der Minderheit der Kurden Massaker von Kosovo Qualität ganz ungestört veranstalten darf und dafür vom Westen sogar noch die Waffen geliefert bekommt. Offenbar gibt es "gute" und "böse" Schlächter; je nachdem, ob sie auf ihrem Territorium US Kampfflugzeuge stationieren lassen oder nicht. Das strategische Ziel der NATO bleibt trotzdem unklar. Denn die Weltherrschaft hat der Westen sowieso nur weiß er anscheinend nicht mehr, was er mit dieser von ihm ruinierten Welt eigentlich anfangen soll. Die für den kalten Krieg geschaffenen Institutionen irren auf der Suche nach Feindbildern umher und brüten pathologische Pläne aus, die alles nur noch schlimmer machen. So kann die "demokratische Völkergemeinschaft", geschoben von der Eigendynamik des militärisch industriellen Komplexes, nur noch mit den blutigen Gespenstern kämpfen, die ihr ureigenes Produkt sind. Quelle: Folha de Sao Paulo, Anfang April 1999 |
© 1999 Buchladen Neuer Weg, Würzburg
– Bei uns können Sie Bücher online suchen und bestellen –
Stand: 24 Dezember 2004
Bei Problemen oder Fehlern schicken Sie eine eMail an: webmaster@neuer-weg.com