Hermann L. Gremliza:
"Serbien muß sterbien"

Spiel, Satz, Sieg Deutschland!
»Bild am Sonntag«-Schlagzeile, 7. Juli 91

Wir haben keinen Anlaß mehr, uns als »underdogs« zu empfinden. Wir sind jetzt schon die dritte und werden in absehbarer Zeit die zweite Wirtschaftsmacht der Welt sein.

»Spiegel«-Herausgeber R. Augstein

Was nicht alles haben gewisse, wenn auch nur kleinste Teile der Linken, »die wütenden Volksverächter« nämlich, die nicht weinen mochten, als die Mauer fiel, dem vierten Reich der Deutschen vorhergesagt! Keine Unterstellung war ihnen zu frech, wenn sie nur geeignet schien, das Zusammenwachsen der Zusammengehörigen in Verdacht zu bringen. Von deutschen Herrschaftsgelüsten über Europa war die Rede, vom deutschen Wesen, an dem einmal mehr die Welt genesen solle, von der Erfüllung all der Träume gar, um die ihr letzter großer Führer die Deutschen hatte betrügen müssen. Nicht von heute auf morgen zwar werde es so kommen, hieß es hier und anderswo (wo?), aber doch früher als die blöden Nachbarn erwarteten.

Selten so geirrt! Es kam so von jetzt auf gleich. Gerade neunzehn Monate seit dem 9. November 1989, dem Tag der Reichspromillnacht, ist es her, da reklamieren die ergrauten Hitlerjungen und NS-Leutnants, die heute in den Selbstverständigungsblättern der deutschen Bourgeoisie, in »FAZ«, »Welt« und »Spiegel«, das Wort führen, ein deutsches Recht auf slowenisch-kroatische Selbstbestimmung und verlangen stürmisch, nein: stürmerisch, die Wiederherstellung Europas in den Grenzen von 1941. Als einer für alle spreche hier der Herausgeber der »Frankfurter Allgemeinen«, Johann Georg Reißmüller, der sich rühmen kann, im Verlauf der jüngsten deutschen Balkankrise die Bonner Regierung auf den richtigen nationalen Kurs gebracht zu haben: Die Kroaten fühlten sich 1918 schwach und gefährdet. Sie hatten im Lager der Mittelmächte (Deutsches Reich und Österreich —HLG) gekämpft und standen nun auf der Verliererseite. Eine Rettung sahen die meisten ihrer Führer nur in einer Verbindung mit dem Kriegssieger Serbien. Den Slowenen ging es ähnlich. . . Daß (der Staat Jugoslawien 1941) unter dem Stoß der Aggression Deutschlands wie ein Kartenhaus zusammenfiel, konnte niemanden wundern. Unter dem kommunistischen Regime, das sich schon in der Kriegszeit festsetzte, wurde das Übel noch größer. Tito begründete seine Herrschaft auf Menschenvernichtungsaktionen, vor allem gegen Kroaten, Albaner, Slowenen.

Goebbels war bekanntlich der Ansicht, Lügen würden umso leichter geglaubt, je dreister sie seien. Und doch scheint fraglich, ob der oberste Lügner des Dritten Reichs vor diesem Propagandisten des Vierten nicht schamrot in den Boden gesunken wäre. Er wußte ja wie dieser, daß Jugoslawien nicht »wie ein Kartenhaus« zerfallen war, sondern Slowenien und Kroatien sich mit Begeisterung Hitlers Krieg gegen die slawischen Untermenschen (Serben, Russen etc.) angeschlossen hatten; er kannte jenen kroatischen »Poglavnik« (Führer) Ante Pavelic und sein selbstbestimmtes Ustascha-Regime, in dem »für Serben, Juden und Zigeuner« kein Platz sein sollte, weshalb in Kroatien, das aus dem »Völkergefängnis Jugoslawien« (Reißmilller) befreit war, nach Schätzung von Hitlers Sonderbeauftragtem Neubacher 750.000 serbische Zivilisten abgeschlachtet wurden. Daß der Kroate Tito seine Herrschaft damit begründete, Reißmüllers Ustascha-Freunde zum Teufel zu jagen, ist freilich wahr, und wenn er ein paar von denen einen Kopf kürzer gemacht hat, so haben's die Belgrader nach 45 besser getroffen als, beispielsweise, die Frankfurter, weshalb die Geschichte in der Völkischen Allgemeinen wie folgt ihren rassebiologischen Fortgang nimmt: Niemand soll sich darüber wundern, daß die Slowenen und die Kroaten, zwei mitteleuropäische Völker, sich dem Zugriff eines solchen orientalischen Despoten (des Generalstabschefs der jugoslawischen Volksarmee) entziehen wollen... Die ganze diplomatische Aktivität der westlichen Länder hat nur dann einen Sinn, wenn ihr Ziel ist, den Slowenen und Kroaten schnell Unabhängigkeit und Sicherheit zu geben... Vor den Vereinten Nationen muß Jugoslawien als menschenrechtsfeindlicher Staat angeklagt werden... Die zivilisierte Welt muß die serbische Nation mit allem Ernst und auch mit dem Ankündigen von Konsequenzen mahnen... Gegen Slowenien hat die »Jugoslawische Volksarmee« einen barbarischen Krieg geführt... woran immerhin wahr ist, daß zwei Drittel der 85 Kriegsopfer Barbaren waren, nämlich Angehörige der jugoslawischen Volksarmee, die von slowenischen und kroatischen Freiheitshelden erschossen wurden. Daß die jugoslawischen Städte Ljubljana und Maribor nur noch »Laibach« und »Marburg« genannt werden, versteht sich, da für die »FAZ« seit dem 26. Juni »der Vielvölkerstaat Jugoslawien am Ende« ist, ganz von selbst. Und in dazu passendem Ton berichtet der Wiener Korrespondent des Blattes über Österreichs Verteidigungsminister Fasslabend, der die Anerkennung Sloweniens gefordert hatte: Die Stimme Fasslabends gewinnt besonderes Gewicht im Hinblick auf die für heute angesetzte Sitzung des Verteidigungsrates. Unter dem Vorsitz des Bundeskanzlers sollen dort die Experten dringlich über die Bewaffnung des Bundesheeres, vor allem der Luftwaffe, beraten. Die jüngsten Erfahrungen mit dem balkanisch-jugoslawischen Konflikt, der nicht beendet sei, zeigen österreichischen Fachleuten, daß die Regierung vor allem die Luftwaffe radikal modernisieren müsse. Bisherige Rücksicht auf veraltete Bindungen im Zusammenhang mit dem Staatsvertrag gelte es zu vergessen.

Jugoslawien, als Siegermacht des Zweiten Weltkriegs einer der Signatare des österreichischen Staatsvertrags, soll, unterm Beifall der »FAZ«, nach der Fetzen-Papier-Doktrin behandelt werden. Und ebenfalls unterm Beifall der »FAZ« darf Otto Habsburg, der Sproß jener verfluchten Sippe, die 1914 mit dem Ruf »Serbien muß sterbien« Europa in ein Blutbad gestürzt hat, »die so große Verpflichtung« beschwören, »die wir gerade als Europäische Gemeinschaft den Slowenen gegenüber haben«. Und falls sich wieder mal ein US-Präsident mit vierzehn Punkten oder sowas sollte aufspielen wollen, fügt »der Kaiserenkel« hinzu: »Das geht die Amerikaner einen Schmarrn an. Sie verstehen nichts davon und sollen sich da nicht einmischen.«
Nun könnte eingewandt werden, daß die »Frankfurter Allgemeine«, auch wenn sie durch ihren für Osteuropa zuständigen Herausgeber spricht, nichts als ein Ausdruck der Meinungsfreiheit, ein Teil der Meinungsvielfalt sei. Kein Einwand abwegiger als dieser. Die »Zeitung für Deutschland« ist keine Zeitung unter anderen, sie ist eine Art reziproke »Prawda«: in ihr steht nicht, was die Politik der Gesellschaft zu sagen hat, in ihr steht, was die gesellschaftliche Herrschaft den Politikern zu sagen hat. Der Ton, den ihre leitenden Redakteure dabei anschlagen, wird in besseren Familien gegenüber dem Personal gebraucht: Hans-Dietrich, Sie können jetzt den Balkanspieß auftragen!

Den Kinderteller darf der Hilfskellner von der »Tageszeitung« servieren, bitte, Klaus Hartung: »Ignoriert wurde und wird, was auf der Hand liegt: daß von Slowenien bis zum Baltikum der politische und gesellschaftliche Emanzipationsprozeß über die Wiederentdeckung der Nation und über die Rückkehr zu den Landesreligionen läuft. Der Begriff der Demokratie ist damit unlösbar verbunden.«

Der Unterschied zwischen »FAZ« und »TAZ« besteht darin, daß bei den Herren Eltern der Kongreß tanzt und beim Nachwuchs der Prozeß läuft, wenn die Rückkehr zu Nation und Religion, zu Fascho und Kleriko, als Befreiung bzw. Emanzipation verkauft werden soll, weil sie hilft, die wirtschaftliche und politische Dominanz des vierten deutschen Reichs über das ganze christliche Osteuropa auszudehnen. Daß dies in propagandistischer, das heißt lügnerischer und betrügerischer Absicht geschieht, sei zur Ehre nicht nur der ergrauten, sondern auch der nur verfetteten Pimpfe unterstellt. Denn sogar ein Hartung müßte wissen, daß die Kroaten im »jugoslawischen Völkergefängnis«, wie die Balten unter Breschnews Diktat und erst recht die Deutschen im geteilten Land, die ersten halbwegs anständigen, unblutigen Jahre ihrer neueren Geschichte verbracht haben; und daß es kein Zufall ist, wenn das neue deutsche Reich jetzt vor allem die »Befreiung« jener Völker verlangt, die vor 50 Jahren an der Seite seines Vorgängers standen.

Quelle: Konkret Nr. 08/1991, S. 5f.

© 1999 Buchladen Neuer Weg
– Bei uns können Sie Bücher online suchen und bestellen –
Stand: 24 Dezember 2004
Bei Problemen oder Fehlern schicken Sie eine eMail an: webmaster@neuer-weg.com