Nach Jutta Ditfurth
und diversen anderen versucht Jürgen Elsässer nun in seinem neuesten
Buch den Linken die Veränderung der Grünen zu erklären. Die ökonomischen
Gründe für die Veränderungen bei den Grünen sieht Elsässer darin,
dass die meisten führenden Grünen und auch viele an der Basis einer
"Lumpen-Intelligenzija" angehören, die er mit Marx‘ Diktum über
das "Lumpenproletariat" als den "Abhub der verkommensten
Subjekte aller Klassen" charakterisiert.
Elsässer führt dazu aus: "Allein in der Bundesrepublik dürften es
einige hunderttausend Leute sein, die eine universitäre Ausbildung
durchlaufen … haben, danach aber keine feste Beschäftigung fanden. Also
haben sie sich eine Auskommen in den Ritzen des Sozialstaats und
Kulturestablishments gesucht, sie vermarkten sich als Künstler,
Journalisten, Werbeagenten und ähnliches. Diese prekarisierten und
scheinselbständigen Jobs jenseits der klassischen Lohnarbeit, ein
Spezifikum der postfordistischen Produktionsweise, machen abhängig von
den Auftraggebern … also heißt die Parole: Ja nicht negativ auffallen.
Sowohl FDP als auch die Grünen sind Parteien des Mittelstandes. Doch während
die FDP die Partei der Zahnärzte und Rechtsanwälte ist, also der
erfolgreichen Studenten ohne Bummelsemester im AStA oder einer
Frauengruppe, reüssierten bei den Grünen die akademischen Zuspätkommer."
Engagement über das Studium hinaus führt also laut Elsässer zum
pseudolinken Opportunismus und karriereorientiertes Studium in die FDP.
Wenn das zuträfe, wären alle Intellektuellen für die Linke verloren. Da
es aber doch Beispiele dafür gibt, dass engagierte Menschen trotz oder
gerade wegen gebrochener Erwerbsbiografien bei der Stange bleiben oder
andererseits ehemalige Linke nach dem Studium klassische Berufskarrieren
einschlagen, ist Elsässers Analyse der sozialen Ursachen für die grüne
Wende nicht wirklich überzeugend. Sie trifft allenfalls auf einzelne grüne
Biografien zu. Es ist wohl viel mehr so, dass die meisten grünen
Mitglieder und WählerInnen heute durchaus zum etablierten Mittelstand gehören
und diese "Verbürgerlichung" der Basis auch zunehmend die
Politik der Partei prägt.
Auch die biografischen Hintergründe werden nicht wirklich empirisch
belegt, sondern nur an Einzelbiografien
–
besonders der von Joseph Fischer –
dargestellt. Dabei glaubt Elsässer eine "heimliche Identifikation
mit den Vätern" festgestellt zu haben. Diese führe dazu, die Schuld
der Deutschen auf die Opfer der Deutschen zu projizieren. Diese
Feststellung ist sicher richtig. Diese Projektion ist allerdings eine
Konstante deutscher bürgerlicher Politik, die die Grünen nicht erfunden,
aber übernommen haben. Ansonsten lässt sich Elsässer ausführlich darüber
aus, dass deutsche Politik stärker als die anderer Länder von völkischem
Denken geprägt sei, was sich auch auf die deutsche Linke ausgewirkt und
mit zum Wandel der Grünen beigetragen habe. Auch an dieser Kritik ist
viel Richtiges.
Allerdings macht Elsässer dann einen Fehler, den viele
antinationale/"antideutsche" Linke machen: Er sucht das antivölkische
Ideal in einem existierenden Staat. Während einige
"Antideutsche" heutzutage die bedingungslose Solidarität mit
den USA und Israel fordern, sieht Elsässer sein Ideal in Frankreich
verwirklicht. Den USA wirft er vor, dass sie ihre Nation auf der Sklaverei
der Schwarzen und der Vertreibung, Marginalisierung und teilweisen
Vernichtung der Indianer begründet hätten. In Frankreich sei dagegen das
Ideal des Staatsbürgers ohne Ansehen der ethnischen Zugehörigkeit
verwirklicht. Elsässer entgeht dabei, dass Frankreich den Rassismus durch
den Kolonialismus lediglich geografisch aus dem Mutterland ausgelagert
hat.
Empfohlen sei das Buch allen, die sich noch nicht genug über die Grünen
geärgert haben. Des Weiteren sollten alle das Buch lesen, die an einer guten linken Kritik der deutschen Jugoslawienpolitik in den 90er Jahren
interessiert sind. Schließlich werden jene auf ihre Kosten kommen, die
ein Faible für scharfe politische Polemiken haben.
(Quelle:
SoZ -
Sozialistische Zeitung, April 2002, Seite 19)
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