Ich halte eine Militarisierung der EU aus folgenden Gründen für
den falschen, ja kontraproduktiven Weg, um die allerdings sehr
wünschenswerte außenpolitische, von den USA unabhängige
Handlungsfähigkeit Europas zu erreichen [S. den
Helsinki-Streitkräfte-Katalog, 2000, Sz.]:
1) Eine Militarisierung der EU ist die falsche Antwort auf die Art
von Krisen und Konflikten, die wir derzeit in Europa und seinem
Umfeld (Osteuropa und ehemalige Republiken der UdSSR, Mittlerer
Osten, Nordafrika) bereits haben, und die wir künftig haben werden.
2) Die Militarisierung der EU wird in einigen Jahren zu neuen
Bedrohungswahrnehmungen führen, zumindest in Moskau, möglicherweise
auch anderswo. Das wird zu erneuten Belastungen des Verhältnisses
zwischen der EU und Russland, und gerade auch Deutschlands zu
Russland führen.
3) Die Kosten der Militarisierung: Hier fehlt jegliche Transparenz
und demokratische Kontrolle. Es gibt zwar die seit dem Kosovo-Krieg
gefassten gemeinsamen Beschlüsse der EU zur Aufstellung und
Beschaffung neuer militärischer Kapazitäten. Sie erstrecken sich auf
einen Zeitrahmen von zehn bis 15 Jahren.
Es gibt jedoch keine gemeinsame Finanzplanung der EU, die die
Gesamtkosten der beschlossenen Militarisierung deutlich machen
würde. Das Europäische Parlament hat keinerlei Kontroll- oder
Mitsprachemöglichkeiten. [S. zum Auswärtigen Ausschuss des
Europäischen Parlamentes, Sz.] Zu erfahren ist lediglich das
Stückwerk der nationalen Haushaltsplanungen in den 15
Mitgliedsstaaten jeweils maximal für die nächsten drei Jahren. Es
gibt eine Kostenabschätzungs-Studie der kritischen Soldatengruppe
"Darmstädter Signal" – nur bezogen auf die Bundesrepublik
Deutschland. Danach werden sich die Ausgaben für die großen
Beschaffungsvorhaben (also Kampfflugzeuge, Schiffe, Satelliten), die
rund zwei Drittel der gesamten Beschaffungskosten ausmachen, in den
nächsten zwölf Jahren allein in Deutschland auf mindestens 150
Milliarden Mark summieren. Die Personalkosten, die sich durch die
Schaffung der Eingreiftruppe deutlich erhöhen dürften, sind dabei
noch überhaupt nicht berücksichtigt.
Was immer die genauen Beschaffungskosten in zehn, 15 Jahren sein
werden – eines scheint sicher: Wenn das Programm zur Militarisierung
der EU tatsächlich umgesetzt wird, wird für die bislang ohnehin noch
völlig unterfinanzierten zivilen, nicht-militärischen Instrumente
zur Prävention und zur Bearbeitung von Konflikten überhaupt kein
Geld mehr übrig bleiben.
4) Doch selbst wenn die EU-Staaten die zur Schaffung neuer
militärischer Instrumente und Kapazitäten erforderlichen
finanziellen Ressourcen hätten: Die EU wird auf diesem Feld immer
deutlich hinter den USA zurück bleiben. Der Vorsprung der USA auf
dem Feld der Rüstungswirtschaft, der Rüstungstechnologie ist nicht
einholbar. [S. internationale Rüstungsdatenbank, SIPRI, Sz.]
Mein Fazit: Die Militarisierung der EU wird nicht zur politischen
Lösung oder auch nur zur Befriedung der Konflikte in Europa und in
seinem Umfeld führen. Stattdessen wird sie Europa global – also im
Verhältnis zu den USA – eher noch schwächen und damit genau das
Gegenteil dessen bewirken, was viele sich – quer durch das gesamte
politische Spektrum – erhoffen: Unter dem positiven Etikett
"Emanzipation von den USA" erhofft man sich nämliche eine gestärkte
und eigenständigere Handlungsfähigkeit der EU in der Gemeinsamen
Außenpolitik.
Diese halte ich allerdings für eine wichtige Zielsetzung. Doch die
zentrale Frage, die dringend der Diskussion bedarf, lautet: Ist eine
gestärkte und eigenständigere außenpolitische Handlungsfähigkeit der
EU tatsächlich nur möglich, wenn eine militärische
Handlungsfähigkeit gegeben ist?
Ich meine, nein. Es gibt zahlreiche Felder (z.B. Konfliktprävention
in Südosteuropa und anderen Regionen; Stärkung der UNO, gerade auch
ihrer präventiven Programme; Vermittlung im Nahost-Konflikt), in
denen die EU schon längst und ohne militärische Mittel eine
Gemeinsame Außenpolitik betreiben und ein Gegengewicht zur USA
setzen könnte - wenn der gemeinsame politische Wille dazu vorhanden
wäre.
Quelle:
Krieg im Irak – Krieg gegen den Terror? (Bundeszentrale für
politische Bildung, Diskussionsforum, 04.-11.04.2003)
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