"Militarisierung der EU ist der falsche Weg"

von Andreas Zumach, Genf
Internationaler Korrespondent



Ich halte eine Militarisierung der EU aus folgenden Gründen für den falschen, ja kontraproduktiven Weg, um die allerdings sehr wünschenswerte außenpolitische, von den USA unabhängige Handlungsfähigkeit Europas zu erreichen [S. den Helsinki-Streitkräfte-Katalog, 2000, Sz.]:

1) Eine Militarisierung der EU ist die falsche Antwort auf die Art von Krisen und Konflikten, die wir derzeit in Europa und seinem Umfeld (Osteuropa und ehemalige Republiken der UdSSR, Mittlerer Osten, Nordafrika) bereits haben, und die wir künftig haben werden.

2) Die Militarisierung der EU wird in einigen Jahren zu neuen Bedrohungswahrnehmungen führen, zumindest in Moskau, möglicherweise auch anderswo. Das wird zu erneuten Belastungen des Verhältnisses zwischen der EU und Russland, und gerade auch Deutschlands zu Russland führen.

3) Die Kosten der Militarisierung: Hier fehlt jegliche Transparenz und demokratische Kontrolle. Es gibt zwar die seit dem Kosovo-Krieg gefassten gemeinsamen Beschlüsse der EU zur Aufstellung und Beschaffung neuer militärischer Kapazitäten. Sie erstrecken sich auf einen Zeitrahmen von zehn bis 15 Jahren.

Es gibt jedoch keine gemeinsame Finanzplanung der EU, die die Gesamtkosten der beschlossenen Militarisierung deutlich machen würde. Das Europäische Parlament hat keinerlei Kontroll- oder Mitsprachemöglichkeiten. [S. zum Auswärtigen Ausschuss des Europäischen Parlamentes, Sz.] Zu erfahren ist lediglich das Stückwerk der nationalen Haushaltsplanungen in den 15 Mitgliedsstaaten jeweils maximal für die nächsten drei Jahren. Es gibt eine Kostenabschätzungs-Studie der kritischen Soldatengruppe "Darmstädter Signal" – nur bezogen auf die Bundesrepublik Deutschland. Danach werden sich die Ausgaben für die großen Beschaffungsvorhaben (also Kampfflugzeuge, Schiffe, Satelliten), die rund zwei Drittel der gesamten Beschaffungskosten ausmachen, in den nächsten zwölf Jahren allein in Deutschland auf mindestens 150 Milliarden Mark summieren. Die Personalkosten, die sich durch die Schaffung der Eingreiftruppe deutlich erhöhen dürften, sind dabei noch überhaupt nicht berücksichtigt.

Was immer die genauen Beschaffungskosten in zehn, 15 Jahren sein werden – eines scheint sicher: Wenn das Programm zur Militarisierung der EU tatsächlich umgesetzt wird, wird für die bislang ohnehin noch völlig unterfinanzierten zivilen, nicht-militärischen Instrumente zur Prävention und zur Bearbeitung von Konflikten überhaupt kein Geld mehr übrig bleiben.

4) Doch selbst wenn die EU-Staaten die zur Schaffung neuer militärischer Instrumente und Kapazitäten erforderlichen finanziellen Ressourcen hätten: Die EU wird auf diesem Feld immer deutlich hinter den USA zurück bleiben. Der Vorsprung der USA auf dem Feld der Rüstungswirtschaft, der Rüstungstechnologie ist nicht einholbar. [S. internationale Rüstungsdatenbank, SIPRI, Sz.]

Mein Fazit: Die Militarisierung der EU wird nicht zur politischen Lösung oder auch nur zur Befriedung der Konflikte in Europa und in seinem Umfeld führen. Stattdessen wird sie Europa global – also im Verhältnis zu den USA – eher noch schwächen und damit genau das Gegenteil dessen bewirken, was viele sich – quer durch das gesamte politische Spektrum – erhoffen: Unter dem positiven Etikett "Emanzipation von den USA" erhofft man sich nämliche eine gestärkte und eigenständigere Handlungsfähigkeit der EU in der Gemeinsamen Außenpolitik.

Diese halte ich allerdings für eine wichtige Zielsetzung. Doch die zentrale Frage, die dringend der Diskussion bedarf, lautet: Ist eine gestärkte und eigenständigere außenpolitische Handlungsfähigkeit der EU tatsächlich nur möglich, wenn eine militärische Handlungsfähigkeit gegeben ist?

Ich meine, nein. Es gibt zahlreiche Felder (z.B. Konfliktprävention in Südosteuropa und anderen Regionen; Stärkung der UNO, gerade auch ihrer präventiven Programme; Vermittlung im Nahost-Konflikt), in denen die EU schon längst und ohne militärische Mittel eine Gemeinsame Außenpolitik betreiben und ein Gegengewicht zur USA setzen könnte - wenn der gemeinsame politische Wille dazu vorhanden wäre.

Quelle: Krieg im Irak – Krieg gegen den Terror? (Bundeszentrale für politische Bildung, Diskussionsforum, 04.-11.04.2003)


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Stand: 28. Dezember 2006
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