Ruhend im eigenen Kosmos

Endlich wird die in Hamburg lebende Schriftstellerin Brigitte Kronauer mit dem Georg-Büchner-Preis geehrt

VON INA HARTWIG


Die Jury der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung in Darmstadt setzt die Reihe überzeugender Entscheidungen fort. Nach Alexander Kluge (2003) und Wilhelm Genazino (2004) wurde nun die in Hamburg lebende Schriftstellerin Brigitte Kronauer zur Trägerin des Georg-Büchner-Preises 2005 erkoren. Das ist so erfreulich wie überfällig. Schon seit Jahren kursierte ihr Name, wenn das große Rätselraten anhob, wer denn wohl dieses Mal der oder die Glückliche sein würde. Brigitte Kronauer ist eine mehr als nahe liegende Kandidatin für die mit 40.000 Euro zwar nicht übermäßig hoch dotierte, aber doch wohl bedeutendste literarische Auszeichnung in Deutschland.

Ihr ebenso opulentes wie filigranes Prosawerk, beginnend mit Frau Mühlenbeck im Gehäus (1980) über Berittener Bogenschütze (1986) bis Verlangen nach Musik und Gebirge (2004), entfaltete im Lauf der Jahre einen geradezu zwingenden Sog. Den Sog eines sich selbst genügenden, eines sich niemals in Frage stellenden Werks. Die haarfeine Konstruktion ihrer Bücher haben nicht einmal die – wenigen – skeptischen Kritiker bestritten; der Vorwurf des Reißbretthaften, allzu Kalkulierten blieb Brigitte Kronauer jedoch nicht erspart. Vielleicht ist diese Autorin einfach zu intelligent, zu gebildet und auch zu höflich-kontrolliert, um einfach drauflos zu schreiben. Auffällig jedenfalls ist eine innere Ruhe, die faszinierend kontrastiert mit dem semantischen und prosodischen Feuerwerk der Kronauer'schen Texte. Kaum ein Autor, kaum eine Autorin der Gegenwart vermag die Balance aus Präzision und barockem Überschuss so elegant zu halten wie sie.

1940 in Essen geboren, einige Jahre als Lehrerin arbeitend, hat Brigitte Kronauer bald den Schritt gewagt, der ihr unausweichlich erschien. Sie lebt seit 1974 als freie Schriftstellerin in Hamburg, und wenn sie spricht, meint man tatsächlich so etwas wie eine hanseatische Färbung herauszuhören. Der vorletztes Jahr verstorbene Literaturkritiker Reinhard Baumgart bezeichnete Brigitte Kronauer als "hellere Schwester Elfriede Jelineks", ein cleverer Vergleich.

Bei aller Grundheiterkeit ist Brigitte Kronauer die Schmähung keineswegs fremd. Allerdings verpackt sie diese ihre Neigung zum Dunklen, ja zur Aversion in feine Worte, wie etwa in dem Bändchen "Die Tricks der Diva" (2004), in dem eine aufgetakelte Bande niedlicher Gören aus besseren Kreisen zu teuflischen Putten werden, sobald ihre Mamas sie im Kindergarten abgegeben haben, um sich ihrem luxuriösen Ennui hinzugeben. Dazu wird der Song geschmettert: "Dri Chinisin mit dem Kontrabass".

Genazino über Kronauer
Wilhelm Genazino, Büchner-Preisträger des vergangenen Jahres, begrüßte in einem Interview mit dem HR die Ehrung für Brigitte Kronauer: "Das Besondere an ihren Texten ist ihr rücksichtsloses Interesse an der Intimität des menschlichen Lebens, das ja, wie wir alle wissen, so verborgen ist, dass es eines großartigen Schriftstellers bedarf, um es ans Tageslicht zu heben". (ChTh)

In einem großen Bogen schließt Brigitte Kronauer sowohl das Profane als auch die Kunst – Literatur, Musik, Malerei – in ihre literarischen und in ihre essayistischen Arbeiten ein. Dabei ist sie durchaus eine entschieden weibliche Autorin. Nicht der Feminismus zwar, wohl aber die Emanzipation hat Spuren hinterlassen, insofern, als bei Kronauer die Frauen frei sind; frei zu handeln, zu denken und zu fühlen. Und frei, zu flirten! Für diese Kulturtechnik bricht Kronauer immer wieder eine Lanze. Die Verwirrung der Empfindung als Schwebezustand, als unentschiedenes Spiel zwischen Gewinn und Verlust, unterwirft Kronauer ihrem durch und durch unhierarchischen Blick. Sie schafft es, noch die billigste Massenware mit romantischer Subjektivität zu animieren. Ja, die Romantik als Kosmos der Selbstbezüglichkeit wird von Brigitte Kronauer mit einer Selbstverständlichkeit beerbt, die ans Unwahrscheinliche grenzt, auch deshalb, weil sie kein bisschen naiv daherkommt, eher schon gerissen.

Hinter Kronauers fast zauberischer, animistischer Fähigkeit steht ein inniges Verhältnis zu den Tieren, zu den Tieren noch mehr als zur Natur, die Kronauer letztlich von ihrer Zerstörung (etwa durch scheußliche Wohnsilos an der Oostender Küste) gar nicht zu unterscheiden gedenkt. Es existiert keine Entfremdung im Denken Brigitte Kronauers; ein Urzustand interessiert sie nicht, sondern das Nebeneinander des Bleibenden und Vergehenden. Fulminant, wie sie in Teufelsbrück (2000) ein schnödes Hamburger Einkaufszentrum in ein Theater der Verführung verwandelt. Und nicht nur in diesem hochgelobten Roman, wo ein geölter Halbkrimineller die Knie einer Frau namens Maria Fraulob spontan weich werden lässt, meidet Kronauer das oft öde Milieu der Bildungsbürger. Sie weiß um die Wirkmächtigkeit der Fetische, ohne deren Vulgarität zu leugnen.

Abgründige Lüsternheit

Man muss es einfach kunstvoll nennen, wie sie in ihrem letzten Roman Verlangen nach Musik und Gebirge eine zufällige Versammlung unterschiedlichster Persönlichkeiten im belgischen Seebad Oostende ein paar Tage umeinander schleichen lässt und dabei die Spuren des Malers James Ensor abschreitet, eine Story Joseph Conrads variiert und sogar noch das Proust'sche Balbec aufruft. Dass sie dabei nicht ins Ästhetizistische abdriftet, liegt zum einen an dem überaus hohen (für gegenwärtige Verhältnisse vielleicht zu hohen) sprachlichen Niveau; zum anderen an der abgründigen Lüsternheit, am schmierig Gewaltsamen und nicht zuletzt an der Dummheit, an Sphären des Banalen also, die gnadenlos die Spielräume des Verlangens verstopfen. Mit ihren eigenen Worten gesagt: "Bauch- und Rückenansicht der Dinge und Gefühle (...) sollten, da sie gleichzeitig vorhanden sind, von unserem Bewusstsein nicht vertuscht werden."

Brigitte Kronauer hat bereits u. a. den Joseph-Breitbach-Preis und, vor einigen Wochen erst, den Bremer Literaturpreis entgegengenommen. Man darf sich mit ihr freuen, dass ihr jetzt der Georg-Büchner-Preis zugesprochen wurde.

(Quelle: Frankfurter Rundschau, 25.06.2005)


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Stand: 29. Dezember 2006
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