Ruhend im eigenen Kosmos |
VON INA HARTWIG |
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Die Jury der Deutschen
Akademie für Sprache und Dichtung in Darmstadt setzt die Reihe
überzeugender Entscheidungen fort. Nach Alexander Kluge (2003) und Wilhelm
Genazino (2004) wurde nun die in Hamburg lebende Schriftstellerin Brigitte
Kronauer zur Trägerin des Georg-Büchner-Preises 2005 erkoren. Das ist so
erfreulich wie überfällig. Schon seit Jahren kursierte ihr Name, wenn das
große Rätselraten anhob, wer denn wohl dieses Mal der oder die Glückliche
sein würde. Brigitte Kronauer ist eine mehr als nahe liegende Kandidatin
für die mit 40.000 Euro zwar nicht übermäßig hoch dotierte, aber doch wohl
bedeutendste literarische Auszeichnung in Deutschland.
Genazino über Kronauer In einem großen Bogen
schließt Brigitte Kronauer sowohl das Profane als auch die Kunst –
Literatur, Musik, Malerei – in ihre literarischen und in ihre
essayistischen Arbeiten ein. Dabei ist sie durchaus eine entschieden
weibliche Autorin. Nicht der Feminismus zwar, wohl aber die Emanzipation
hat Spuren hinterlassen, insofern, als bei Kronauer die Frauen frei sind;
frei zu handeln, zu denken und zu fühlen. Und frei, zu flirten! Für diese
Kulturtechnik bricht Kronauer immer wieder eine Lanze. Die Verwirrung der
Empfindung als Schwebezustand, als unentschiedenes Spiel zwischen Gewinn
und Verlust, unterwirft Kronauer ihrem durch und durch unhierarchischen
Blick. Sie schafft es, noch die billigste Massenware mit romantischer
Subjektivität zu animieren. Ja, die Romantik als Kosmos der
Selbstbezüglichkeit wird von Brigitte Kronauer mit einer
Selbstverständlichkeit beerbt, die ans Unwahrscheinliche grenzt, auch
deshalb, weil sie kein bisschen naiv daherkommt, eher schon gerissen. Abgründige Lüsternheit Man muss es einfach
kunstvoll nennen, wie sie in ihrem letzten Roman Verlangen nach Musik und
Gebirge eine zufällige Versammlung unterschiedlichster Persönlichkeiten im
belgischen Seebad Oostende ein paar Tage umeinander schleichen lässt und
dabei die Spuren des Malers James Ensor abschreitet, eine Story Joseph
Conrads variiert und sogar noch das Proust'sche Balbec aufruft. Dass sie
dabei nicht ins Ästhetizistische abdriftet, liegt zum einen an dem überaus
hohen (für gegenwärtige Verhältnisse vielleicht zu hohen) sprachlichen
Niveau; zum anderen an der abgründigen Lüsternheit, am schmierig
Gewaltsamen und nicht zuletzt an der Dummheit, an Sphären des Banalen
also, die gnadenlos die Spielräume des Verlangens verstopfen. Mit ihren
eigenen Worten gesagt: "Bauch- und Rückenansicht der Dinge und Gefühle
(...) sollten, da sie gleichzeitig vorhanden sind, von unserem Bewusstsein
nicht vertuscht werden." (Quelle: Frankfurter Rundschau, 25.06.2005) |
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