"Souveränin im Reich
der Wort" adelte sie ein Kritiker einmal: Brigitte Kronauer gilt als eine
der sprachmächtigsten Autorinnen der deutschen Gegenwartsliteratur. Jetzt
wird sie mit der höchsten Literaturauszeichnung des Landes geehrt: dem
Büchner-Preis.
Büchner-Preisträgerin Kronauer: Radikalität der Sprache (DPA)
Darmstadt – Als
der Deutsche Sprachrat sie bat, über ihr liebstes deutsches Wort zu
schreiben, reflektierte sie im "Tagesspiegel" mit fulminanter Musikalität
und Präzision über das Wort Nachtigall. Da war vom "seufzenden, fast
keuchenden 'ch'" und dem beinahe "Gellenden der Silbe 'gall'" zu lesen; am
Ende hieß es: "Nein, sie kann sich im Deutschen nicht beklagen, die Frau
Nachtigall."
Dies gilt auch für die deutsche Sprache: Sie kann sich nicht beklagen,
dass es Autorinnen wie Brigitte Kronauer gibt, deren sprachliche
Kunstfertigkeit, Sicherheit des Stils und Originalität der Beobachtung
glänzend sind und die die literarische Landschaft seit Jahrzehnten
bereichern.
Am 5. November wird sie den Georg Büchner-Preis erhalten, wie die Deutsche
Akademie für Sprache und Dichtung heute mitteilte. Damit erhält eine
Autorin den wichtigsten deutschen Literaturpreis, die seit ihrem
Durchbruch mit dem 1980 erschienenen Roman "Frau Mühlenbeck im Gehäus",
Publikum und Kritik begeistert und herausfordert, fasziniert und
provoziert.
Spätestens mit "Rita", ihrem zweiten Prosawerk und ebenso wie "Frau
Mühlenbeck" eine weibliche Lebensgeschichte, wurde Kronauer als
überragende Erzählstimme in Deutschland anerkannt. Fritz J. Raddatz von
der "Zeit" schrieb damals von einem "vollkommen gelungenen" Roman, "so
richtig im Ton, so behutsam in der Sprache, so neu in der narrativen
Struktur."
Auch ihr dritter Roman, "Berittener Bogenschütze", überzeugte die
Kritiker. Der hoch gelobte Zeit- und Bildungsroman, der die Geschichte
eines Literaturwissenschaftlers erzählt, der hofft durch eine Italienreise
seine inneren Konflikte zu überwinden, wies die 1940 in Essen geborene
Autorin als Stilistin aus, die in malerischer Weise mit Sprache umzugehen
versteht. So sprach ein Rezensent vom "Herzland des Sehens"; die
"Frankfurter Allgemeine Zeitung" lobte den durchdringenden Blick, der
nicht mehr vereinnahmen will, sondern dem anderen seine über sich
hinausweisende Eigenständigkeit belässt."
Mit dem 1990 erschienenen Roman "Die Frau in den Kissen" vollendete
Kronauer ihre mit "Rita Münster" und "Berittener Bogenschütze" begonnene
Roman-Trilogie. Der am formalen Radikalismus des französischen Noveau
Roman orientierte Text ließ die realistischen Erzählkonventionen fast ganz
hinter sich und verzichtete auf Helden und Handlung. An die wenigstens
ansatzweise vorhandenen Plotstrukturen, die durch die Liebesgeschichten
der vorangegangen Romane noch gegeben waren, trat eine Serie erotischer
Konstellationen, die minutiös aufgefächert wurden.
Kronauer, die fast ein Jahrzehnt lang auf eine breitere Öffentlichkeit
warten musste, hat es ihren Lesern nie leicht gemacht, So konsequent, wie
sie 1971 ihren Lehrerberuf zugunsten des Schreibens aufgab, so konsequent
arbeitete sie an der "Radikalität der poetischen Detailwahrnehmung", einer
"alles durchdringenden Beobachtungsobsession, der der das eher spärliche
Handlungsgerüst lediglich als Kristallisationsfläche dient", schrieb der
SPIEGEL.
Dieser Mangel an Gegenständlichkeit, gepaart mit einer virtuosen
Sprachartistik, beherrschte auch ihren 2003 erschienenen Roman "Teufelsbrück",
der allerdings kontrovers besprochen wurde. Einig aber ist sich die Jury,
dass der Preis nach Wilhelm Genazino, dem letztes Jahr Geehrten, in die
richtigen Hände gelangt. Den Preis soll nur erhalten, wer durch seine
"Arbeiten und Werke in besonderem Maße hervorgetreten und an der
Gestaltung des gegenwärtigen deutschen Kulturlebens wesentlichen Anteil"
gehabt hat. Dies ist im Falle Brigitte Kronauers nicht zu bestreiten.
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SPIEGEL ONLINE 2005
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(Quelle:
SP. ONLINE, 10.06.2005)
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