Burkhard Müller-Ulrich:
"Die Massenvergewaltigungslager"

Zwischen Oktober 1992 und März berichteten die Medien über serbische Konzentrationslager, in denen muslimische Frauen systematisch - zum Zwecke der Demütigung und als Mittel der "ethnische Säuberung"- vergewaltigt und geschwängert worden seien. Horrende Zahlen wurden gehandelt: Nach einem in Jahr 1993 veröffentlichten EU-Bericht sollten es 20 000 sein, nach Angaben des bosnischen Innenministeriums 50 000, "Paris Match" zufolge 60 000. Für die Europäische Union war eine sechsköpfige Delegation, angeführt von der britischen Ex-Diplomatin Anne Warburton und der französichen Ex-Ministerin Simone Veil, nach Kroatien und Bosnien gereist; sie hatten sich fünf Tage lang umgesehen, hie und da auch Flüchtlinge interviewt und sich vom Roten Kreuz, der Caritas und anderen humanitären Organisationen alles Mögliche erzählen lassen. Die Zeugnisse, auf die sie sich stützten, waren fast durchweg aus zweiter oder dritter Hand. Aber obwohl die Kommission selbst die prekäre Quellenlage unterstrich, stürzte sich die Weltpresse- bis hin zu "Newsweek"(1) - auf diese von einer Kriegspartei lancierten "Informationen".

Der stellvertretende Chefredakteur des öffentlich-rechtlichen Fernsehkanals France 2, Jacques Merlino, bekannte später, ihm seien angesichts dieser Leichtfertigkeit der Medien die Haare zu Berge gestanden.(2) In Deutschland hatte die Journalistin Alexandra Stiglmayer mit der Story durchschlagenden Erfolg. Ihr im November 1992 vom "Deutschen Allgemeinen Sonntagsblatt" und der Zürcher "Weltwoche(3) veröffentlicher Artikel wurde von vielen deutschen Tageszeitungen nachgedruckt; der "Stern" bekam eine eigene Fassung.(4) Auch die "Zeit" benutzte dieses Material und erzählte dasselbe: in Doboj beispielweise seien 2000 muslimische und kroatische Frauen in einer "dunklen Turnhalle ohne Licht" festgehalten und "immer wieder vergewaltigt" worden.

Daraufhin riefen Rita Süssmuth und andere Bundespolitiker zu einer Spendenaktion auf und warben für die Adoption der angeblich massenhaft zu erwartenden Babys, deren Mütter sie als Früchte der Feinde und der Schande betrachteten und sofort loswerden wollten. Das Fernsehen sollte diese Spendenaktion unterstützen. Deshalb schickte die ARD-Sendung "Panorama" eine Reporterin nach Zagreb los. Es galt, ein paar bewegende Filmaufnahmen zu machen: von vergewaltigten Frauen und von ausgesetzten Babys. Angesichts ihrer enormen Anzahl sollten sie leicht zu finden sein. Dachte die Reporterin. In und um Zagreb gab es ein Dutzend Flüchtlingslager. Manche wurden von muslimischen Fundamentalisten geführt, die Unterstützung aus Ägypten erhielten. Hier bekamen westliche Reporter keinen Zutritt. Im Lager Resnik jedoch, etwas außerhalb der Stadt gelegen, hatte das ARD-Team mehr Glück. In ehemaligen Schul- und Kasernengebäuden inklusive Tiefgarage lebten an die 9000 von den Serben vertriebene Muslime aus Bosnien und Herzegowina, darunter viele Frauen, die auf die Frage nach Vergewaltigungen erstaunlich offen und detailreich zu berichten anfingen - sogar in Anwesenheit von Männern und vor laufender Kamera.

Die Reporterin hatte erwartet, daß es schwer sein würde, mit vergewaltigten Frauen zu sprechen, und noch schwerer, sie zum Sprechen zu bringen. Jetzt war sie von den ausdrucksstarken Schilderungen scheußlicher Szenen doch überrascht - und ein bißchen irritiert; deswegen tat sie, was in einer solchen Situation vielleicht das Schwerste ist: Sie fragte nach. Sie fragte, wann und wo genau die Vergewaltigungen stattgefunden hätten und ob die Frauen die Täter kennen würden. Das löste einige Verwirrung aus. Woher sie das denn wissen sollten, war die Antwort. SIE seien doch nicht vergewaltigt worden, erklärten die Frauen. SIE hätten bloß wiedergegeben, was ihnen von anderen Frauen erzählt worden sei. Auch alle weiteren Bemühungen, eine einzige Zeugin für etwas zu finden, was 60 000 Menschen widerfahren sein soll, erwiesen sich als vergeblich. Kroatische Ärztinnen und Psychologinnen in den Krankenhäusern Zagrebs waren zwar meistens bereit, gegen Honorar über das Thema zu sprechen, aber sie weigerten sich stets, direkten Kontakt zu einer Betroffenen zu vermitteln. Von einem Chefarzt, den sie eine Woche lang bestürmte, erfuhr die deutsche Journalistin schließlich, warum er sie von einer Frau, die als Vergewaltigungsopfer bezeichnet worden war, fernhielt: Sie war geistig behindert (In der "Frankfurter Rundschau" hieß es dann, sie habe nach dem, was ihr zugefügt worden war, den Verstand verloren) (5).

Auch die vielen Babys, von denen ständig die Rede war, schienen auf einmal verschwunden zu sein. Nicht einmal Jelena Brasja, die örtliche Caritas-Chefin, die das ARD-Team auf die Fährte bringen wollte, war mehr zu erreichen. Die Kinder, die der "Panorama"-Mitarbeiterin schließlich in einem Waisenhaus gezeigt wurden, waren alle über vier Jahre alt: so lange hatte der Krieg zum Glück- noch nicht gedauert. Da begriff die Fernsehjournalistin, daß sie den geplanten Film nicht drehen konnte. Statt dessen hätte sie ein Stück über falsche Informationen und fehlende Beweise liefern können. Aber das wünschte die Redaktion ganz und gar nicht. Man bat die Reporterin, unverrichteter Dinge heimzukehren, und schickte eine andere nach Zagreb, die dann auftragsgemäß die vierjährigen Waisenkinder filmte - als Beweis für Massenvergewaltigungen, die höchstens ein Jahr zurücklagen. Der Fernsehjournalist Martin Lettmayer, der bereits im Herbst 1992 ähnliche Recherchen angestellt und ähnliche Erfahrungen gemacht hatte, schrieb in der "Weltwoche": "Ich führte damals mit zahlreichen Chefredakteuren von Fernseh-Auslandsmagazinen Gespräche (n-tv, ZDF, Sat1, Deutsche Welle usw.) und berichtete ihnen von meinen Nachforschungen. Einigen zeigte ich das Filmmaterial. Keiner zweifelte am Ergebnis meiner Recherchen. Aber keiner traute sich damals, gegen den Wind der öffentlichen Meinung zu blasen. Wer die Vergewaltigungslager anzweifelte, lief die Gefahr, als Vergewaltigungsverharmloser und Serbenfreund verschrieen zu werden. Eine Medienkarriere ist schnell beendet....(6)

(1) Newsweek vom 11 Januar 1993
(2) Jacques Merlino: Les vérités yougoslaves ne sont pas toutes bonnes à dire, Paris 1993, S. 62
(3) Weltwoche vom 5. November 1992: "Demütigung als Waffe: In Bosnien-Herzegowina wird systematisch vergewaltigt, um die Moral des Gegners zu untergraben"
(4) Titelgeschichte in Stern Nr. 49/92: "Vergewaltigung als Waffe"
(5) Frankfurter Rundschau vom 8. November 1993
(6) Weltwoche vom 10. März 1994

Quelle: Burkhard Müller-Ullrich: "Medienmärchen: Gesinnungstäter im Journalismus". Blessing-Verlag 1996. S. 166-168

 

CNN strahlte im März und Mai 1993 Bilder aus, die Muslime zeigten, die von Serben getötet worden waren; doch die angeblichen Moslems waren Serben. Die New York Times brachte Anfang August 1993 das Photo einer Kroatin, die - laut Unterzeile - ihren bei serbischen Angriffen getöteten Sohn beweinte: Die Kämpfe hatten jedoch zwischen Muslims und Kroaten stattgefunden.

Quelle: Burkhard Müller-Ullrich: "Medienmärchen: Gesinnungstäter im Journalismus". Blessing-Verlag 1996. S. 173

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Stand: 24. Dezember 2004
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